Therapie

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15.02.2024

Dauerpatienten: Fluch oder Segen?

Dauerpatienten: Fluch oder Segen?

In meiner Funktion als Sachverständiger für Physiotherapien komme ich viel in Deutschland rum. Von der Großstadt bis ins Land, von kleinen monostrukturierten Physiotherapiepraxen bis hin zu großen Maximalversorgern. Doch egal wo ich bin, begleitet mich früher oder später meist ein Anliegen aus den Reihen der Therapeuten und Therapeutinnen: Das Thema Dauer-Patienten.

Ich möchte Ihnen hier mal aus meiner jüngsten Geschichte ein Beispiel einer Therapeutin geben, die nach einem Vortrag von mir in Ihrer Praxis mit folgender „Sinnkrise“ an mich herangetreten ist:

Hallo Thomas. Danke für deinen inspirierenden Vortrag zur Umsetzung der zusätzlichen Behandlungszeit. Was ich mich in der Gruppe nicht getraut habe zu fragen, möchte ich dir mal per Mail schreiben. Im Laufe der Jahre haben sich bei mir zahlreiche chronische bzw. Dauer-Patienten eingefunden. Viele dieser Patienten betreue ich nun seit vielen Jahren mit 1 – 2 Mal pro Woche. Einige Patienten davon bekommen zum Beispiel auch 60 Minuten Lymphdrainage.

Ich habe nun das Problem, das ich aus persönlicher Sicht und auch fachlichem Interesse lieber Neupatienten aufnehmen würde, die mehr akute Probleme haben und mit denen ich beispielsweise auch viel aktiver arbeiten kann, falls es das Krankheitsbild hergibt. Dazu kommt, dass viele der Dauer patienten den Anspruch haben, dass ich über das ganze Jahr durchgängig für ihre Behandlung dazu sein hätte. Ich bin im Jahr nun mal fünf Wochen im Urlaub und dann kommt vielleicht noch 1 – 2 Wochen Abwesenheit wegen Krankheit dazu. Wenn ich meinen Urlaub ankündige, dann akzeptieren viele keine meiner Kolleginnen und machen mir fast schon einen Vorwurf, dass sie deswegen dann nicht behandelt werden können. 

Jetzt aber mal meine Frage an dich: Was soll bzw. kann ich tun und wie soll ich meiner Chefin verständlich machen, dass mir das Arbeiten so keinen Spaß macht? Sie kann da ja auch nichts zu. Aber wenn ich jetzt nichts sage, dann muss ich mich wahrscheinlich irgendwann woanders umschauen.

Danke jetzt schon mal für deine Hilfe!

Innerer Konflikt

Was diese Mail schön verdeutlicht, ist der innere Konflikt vieler meiner Kollegen und Kolleginnen. Und das begegnet mir unglaublich häufig. Auf der einen Seite fühlt man sich als Therapeutin natürlich seinen Patienten verpflichtet und es ist schwer für ein Therapeuten-Herz, hier loszulassen.

Auf der anderen Seite ist auch niemandem damit geholfen, wenn der Beruf, welcher mal Berufung war, einen nicht mehr erfüllt und man gegebenenfalls sogar darüber nachdenkt, andere Wege zu gehen. Das kann bedeuten, dass man sich als Mitarbeiter lieber eine andere Praxis sucht, welche strategisch anders aufgestellt ist oder ob man gegebenenfalls sogar gänzlich die Heilmittelerbringung verlässt und beruflich einen ganz anderen Weg geht.

Folgen für die Geschäftsführung

Als Geschäftsführung oder Führungskraft müssen Sie sich Gedanken da rüber machen, welche Rahmenbedingungen Sie für Ihre Therapeuten anbieten möchten. Schließlich sind Sie für die strategische Ausrichtung verantwortlich, nicht die Therapeuten.

Was Ihnen bestimmt als erstes in den Sinn kommt ist, dass jeder Patient natürlich auch Behandlung benötigt. Und da wird Ihnen jeder unserer Therapeuten-Kollegen auch Recht geben.

Doch auf der anderen Seite verwehrt man natürlich auch durch – immer gleich gefüllte Terminbücher – anderen neuen und ggf. akuten Patienten den Einstieg. Denn Patienten gibt es leider zu viele.

Also gibt es hier eine Philosophie-Frage: Helfe ich mehr Menschen dadurch, dass ich akute Patienten von Ihrem Leiden befreie, ihnen danach ggf. ein Folgeprogramm in der selbständigen Trainingstherapie anbiete und somit wieder freie Kapazitäten für neue akute Patienten habe? Oder ist der Weg der richtige, dass ich gerade den chronischen Patienten eine dauerhafte Begleitung anbiete, denn wer soll es sonst tun?

Diese Frage kann ich für Sie hier keineswegs beantworten. Und die Antwort auf diese Frage ist auch weder schwarz noch weiß. Doch Sie als Führungskraft sollten sich Gedanken darüber machen. Was ist die große Philosophie des Unternehmens? Kann diese sich auch von Mitarbeiter zu Mitarbeiter unterscheiden? Sie sehen, es gibt hier einiges zu beleuchten.

Finanzielle Sicht & Organisation

Kommen wir nun zur nächsten Sichtweise und beleuchten das Thema Dauer-Patienten aus der finanziellen Betrachtung. Dauer-Patienten geben der Praxis Sicherheit für volle Terminbücher, denn sie kommen ja regelmäßig und über einen sehr langen Zeitraum.

Auf der anderen Seite sorgen viele Dauer-Patienten aufgrund Ihrer Chronifizierung auch für kurzfristige Ausfälle, die schwer wieder zu füllen sind. Sie kennen das: Ein Dauer-Patient ruft morgens an und sagt seine 60-minütige Lymphdrainage ab, weil es ihm heute nicht so gut geht. Das reißt dann schon eine große Lücke ins Terminbuch. Nehme ich jetzt kein Ausfallhonorar bei Absagen unter 24 Stunden, dann ist es sogar ein wirtschaftlicher Schaden.

Natürlich müssen wir auch beleuchten, dass beispielsweise die Lymphdrainage ein Heilmittel vieler DauerPatienten ist, welches im GKV-Minuten-Preis jedoch unter der Krankengymnastik liegt und somit auch – wenn oft im Terminkalender vertreten – die finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens begrenzt. Somit wird es schwieriger, gute Gehälter zu zahlen oder Rücklagen zu bilden.

Ist Einfluss auf die Verteilung von Dauer- und Akut-Patienten möglich?

In meiner Welt schon. Denn das zeigen zahlreiche Praxen, die ich und mein Team tagtäglich betreuen. Das Ganze im Detail zu erläutern, sprengt jetzt den Rahmen. Jedoch möchte ich zwei Faktoren kurz anreisen, welche dabei eine Rolle spielen.

1. Vermarktungsstrategie: Wie es in den Wald ruft, so schallt es wieder raus. Dieses Sprichwort passt sehr gut. Natürlich haben wir alle genug Patienten. Doch haben wir auch die richtigen Patienten, die wir uns wünschen? Haben Sie mal geprüft, wie Sie sich auf den sozialen Medien, auf Ihrer Website, auf Google etc. positionieren? Haben Sie sich Gedanken gemacht, wie Sie wahrgenommen werden möchten?

Nein? Dann tun Sie dies ab sofort! Egal ob Sie DauerPatienten oder Akut-Patienten möchten, ob Sie als Spezialist für Orthopädie oder Neurologie gesehen werden wollen, ob Sie für Kinder oder für Erwachsene der Ansprechpartner Nr. 1 sein möchten oder ob SpitzenSportler sowie der „Otto-Normal-Verbraucher“ den Weg zu Ihnen aufsuchen sollen. Sie müssen das, was Sie suchen, auch kommunizieren. Sonst überlassen Sie es dem Zufall.

P.S.: Dann weiß übrigens auch der Physiotherapeut, der sich bei Ihnen bewerben soll, warum genau Sie und niemand anders der richtige Arbeitgeber für ihn sind.

2. Praxismanagement: Für mich findet an der Rezeption das Praxismanagement statt. Das bedeutet, mein Praxismanagement an der Rezeption muss wissen, welche Philosophie das Unternehmen verfolgt und das Unternehmen muss den Mitarbeitern an der Rezeption auch die notwendigen operativen Maßnahmen mit an die Hand geben, diese Philosophie zu verfolgen. Dafür sind beispielsweise regelmäßige Meetings sowie die Unterstützung durch Kommunikationsleitfäden und Prozessabläufe wichtige Instrumente.

Fazit: Es ist Ihre Entscheidung

Was ich Ihnen mit diesem Erfahrungsbericht an die Hand geben möchte? Sie sollten sich jetzt einmal die Frage stellen: „Habe ich mir schon mal Gedanken darüber gemacht, wie der Wunsch-Patient für meine Praxis aussieht?“ Oder sogar noch weiter runter gebrochen: „Habe ich schon mal meine Mitarbeiter gefragt, wie „der bunte Blumenstrauß“ an Behandlung aussehen muss, damit sie glücklich sind?“

Wenn sie das mit „Nein“ beantworten, dann sollten Sie dies schnellstmöglich tun. Denn in Zeiten des Fachkräftemangels liegt es in ihrer Führungskompetenz diese strategischen Überlegungen anzuwenden, mit Ihren Mitarbeitern im Regenaustausch zu sein und am Ende auch alle operativen Prozesse danach auszurichten, um Ihren Patienten-Stamm optimal gestalten zu können. Wenn Sie Hilfe dabei benötigen, dann kann ich Sie sehr gerne dabei unterstützen.

Thomas Kämmerling

Bild: ©shutterstock.com_1293680533


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