Therapie

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06.09.2023

Wie spreche ich mit meinem Patienten?

Wie spreche ich mit meinem Patienten?

Beckenboden-Training, Teil 3

Zuerst sind es nur ein paar Tropfen, dann wird es immer mehr. Inkontinenz! Das ist unangenehm, schambehaftet und Windeln sind nicht die Lösung. Obwohl der Leidensdruck groß ist, trauen sich viele nicht, über ihren unkontrollierten Harnabgang zu sprechen – auch nicht in der Therapie.

Frauen wie Männer können ihren Beckenboden trainieren, um sich dem scheinbar „unausweichlichen“ Schicksal einer Inkontinenz entgegenzustellen. Dafür braucht es aufseiten der Therapeuten viel Feingefühl, um vor allem das männliche Geschlecht von der Notwendigkeit des Trainings zu überzeugen.

Aufklärung und Wissensvermittlung

„Alle wollen wieder dicht oder trocken werden. Aber der Weg dorthin braucht kleine, schnelle erreichbare Ziele“, so Physiotherapeut Kay Bartrow. Um die Maßnahmen für dieses Ziel den Patienten verständlich zu machen, erklären Therapeuten nach der Befunderhebung den Patienten erst einmal die Anatomie des Beckenbodens.

Hierfür werden in der Regel anatomische Modelle zur Veranschaulichung eingesetzt. Insbesondere der Aspekt, dass und wie eine Trainierbarkeit der quer gestreiften Muskulatur möglich ist, legen Beckenboden-Therapeutinnen ihren Patienten dar, so auch die speziell ausgebildeten Physiotherapeutinnen Veronika Mühlbauer und Liisi Sokman von Mediana, Zentrum für Physiotherapie & Training in Stephanskirchen.

Tobias Platz kann sich für die Patientenaufklärung in seiner Privatpraxis in München Zeit nehmen und geht gezielt auf die beiden Geschlechter ein. „Ich habe ein männliches und ein weibliches Beckenbodenmodell. Daran erkläre ich erst einmal Lage, einzelne Strukturen und die Funktion des Beckenbodens. Dann kommt ein großer Teil der Wahrnehmungsschulung des Beckenbodens mittels Hände, Kissen und Atmung. Das Ganze kontrolliere ich über Sonografie.“

Vorurteile ausräumen

Seitens der Patienten gibt es auch Vorurteile, die erst einmal aus dem Weg geräumt werden müssen. Eines ist – wie Tobias Platz betont –, dass Beckenbodentraining nur etwas für Frauen wäre. Das betrifft nur Frauen, beispielsweise nach der Schwangerschaft und der Geburt, so auch die Erfahrung der speziell ausgebildeten Therapeutin Sabine Schneider in der Praxis von Markus Neumann.

Zudem glauben manche weiterhin, der Beckenboden werde von allein wieder kräftiger. Aber das ist ein Irrglaube, genauso wenig wie die Schwäche der Beckenbodenmuskulatur schicksalhaft angenommen werden muss.

Scham nehmen und Peinliches ansprechen

Ein weiterer Aspekt, den Physiotherapeut Kay Bartrow einbringt, ist das Einlagen- und Sexualverhalten. Das ist für viele Patienten ein sensibles Thema und berührt einige von ihnen peinlich.

Die Einlagenkontrolle beispielsweise ist ein unangenehmes, aber wichtiges Thema. Kay Bartrow führt das näher aus: „Dazu eignet sich das Wiegen der Einlagen beim Wechsel – so erkennt man, wie viel Harn unkontrolliert verloren wurde. Werden die Einlagen leichter, bedeutet dies auch: weniger unkontrollierter Urinverlust und mehr Kontrolle. Auch das Zählen der Einlagen ist wichtig: Je weniger pro Tag benötigt werden – und je leichter die Einlagen beim Wechsel sind – desto besser.“

Das alles muss man offen ansprechen können. Therapeuten sind hinsichtlich Geduld und Einfühlungsvermögen gefordert. Sie sollten sich darauf einstellen, dass Betroffene den Therapeuten als stützende Person sehen und es brauche sehr viel Empathie, wie Tobias Platz einräumt. Den Betroffenen zuzuhören sei bei diesen sensiblen Themen ganz wichtig.

Der Münchner Physiotherapeut behandelt zu 80 Prozent Männer in seiner Privatpraxis und spricht ganz gezielt von Mann zu Mann die Männlichkeit an. „Sie müssen den Mut haben, über peinliche Themen wie Sexualität zu reden.“ Er erläutert ihnen zum Beispiel, dass sie vom Beckenbodentraining profitieren, indem sich die Muskulatur des unteren Rückens muskulär verbessere und damit auch die Erektionsfähigkeit.

Kommunikation – der kleine Unterschied

Tobias Platz geht speziell auf „seine“ Männer ein und berichtet, dass sein Statement bei Männern gut wirke: „Es ist nicht sexy mit einer Einlagenhose bzw. mit Urintropfen in der Hose herumzulaufen!“

Frauen haben da ein anderes Verständnis, so die Erkenntnis von Therapeut Bartrow: „Frauen haben ein besseres Körpergefühl und können Übungen meist leichter umsetzen. Bei Männern ist die erste Hürde bereits die Wahrnehmung des eigenen Körpers und das selektive Spüren von Bewegungen und deren Auswirkung, zum Beispiel die Druckerhöhung in der Beckenbodenmuskulatur bei verstärkter Atmung.“ Und er fährt fort: „Frauen sind generell akribischer und sorgfältiger bei der Gesundheitsfürsorge und nehmen die eigene Gesundheit ernsthafter wahr, während Männer zu Bagatellisierungen neigen.“

Wichtig für alle Betroffenen ist es nach Meinung von Tobias Platz, Perspektiven aufzuzeigen. „Auch wenn die Therapie nicht 100%-ig zum Erfolg führt, trotzdem nach Lösungswegen suchen“, fordert der Münchner Therapeut.

Reinhild Karasek

Bild: ©Shutterstock.com_2114045390


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