Training

Training

Training


26.04.2021

Paradigmenwechsel der Wiederholungssteuerung beim Krafttraining

Paradigmenwechsel der Wiederholungssteuerung beim Krafttraining

Über den Zusammenhang von Wiederholungen und Trainingsziel

Schwere Gewichte für Kraftzuwachs, Training im mittleren Bereich für Muskelhypertrophie und viele Wiederholungen für Kraftausdauer! Was ist wirklich dran an dieser Einteilung? Professor Dr. Stephan Geisler vom IST wirft einen Blick auf neuere Studien zu Anpassungsprozessen des Krafttrainings und widerlegt damit einen Mythos.

Krafttraining ist die effektivste Trainingsmethode, um diverse muskuläre Anpassungsprozesse zu erzielen. Dabei existieren drei gängige Wiederholungsbereiche, welche als Empfehlungen spezifischer Anpassungsprozesse (Maximalkraft, Hypertrophie, Kraftausdauer) des Krafttrainings genutzt werden.

Das Wiederholungskontinuum

Diese Wiederholungsbereiche werden auch als Wiederholungskontinuum bezeichnet. Dieses zeigt demnach auf, mit welchem Wiederholungsbereich welche Adaptationsprozesse zu erwarten sind (Anderson & Kearney, 1981; Delorme, 1945; Stone & Coulter, 1994). Dabei soll in einem Wiederholungsbereich zwischen 1 – 5 Wiederholungen bei 80 - 100% 1RM (Repetition Maximum) die Kraftzuwächse optimiert werden während in einem Bereich zwischen 8 – 12 Wiederholungen bei 60-80% 1RM die Muskelzuwächse (Muskelhypertrophie) optimal sein sollen. Kraftausdauer soll sich am besten bei >15 Wiederholungen bei

Kraftzuwachs & Intensität

Wie bereits erwähnt, werden die größten Kraftzuwächse dem 1-5 RM-Bereich zugeschrieben. Interessanterweise konnten Jenkins und Kollegen (2017) in einer sechswöchigen Trainingsintervention zeigen, dass ein Training bei 80 % von 1 RM sowohl die Kraft als auch die willkürliche Muskelaktivierung stärker erhöht als ein Training bei 30 % des 1RM. Insbesondere die Muskelaktivierung deutet auf neuromuskuläre Anpassungsprozesse hin.

In ähnlicher Weise zeigte eine groß angelegte Meta-Analyse von Lopez und Kollegen, dass Kraftzuwächse in einem hohen Intensitätsbereich (>80% 1RM) besser gesteigert wurden als bei moderaten (60-79% 1RM; ES: 0,26) oder niedrigen Intensitäten (

Dementsprechend ist es naheliegend anzunehmen, dass die Kraftzuwächse größer sind, wenn näher am 1RM trainiert wird. Kraft ist spezifisch und sollte, wenn maximale Kraftzuwächse gewünscht sind, im unteren Wiederholungsbereich trainiert werden. Somit scheint dieser Teil des Wiederholungskontinuums korrekt zu sein. Es bleibt dabei: „Schwer macht stark“.

Muskelhypertrophie

Die Muskelhypertrophie bezieht sich auf das Wachstum von Muskelgewebe, das sich in einer Vielzahl von Anpassungen manifestieren kann (Haun et al., 2019). Diese Effekte werden immer noch dem Bereich von 8-12 1RM-Wiederholungen zugeschrieben. Häufig genannt werden in diesem Zusammenhang die akut erhöhten anabolen Hormonspiegel nach dem Training mit moderaten Wiederholungen oder die geringeren Werte in der Muskelproteinbiosynthese beim Training mit niedrigen Wiederholungen (Kumar et al., 2009; Schoenfeld, 2013).

Muskelzuwachs und Trainingsvolumen

Die Ergebnisse der Meta-Analyse von Lopez und Kollegen (2020) deuten jedoch darauf hin, dass es in der Praxis keine Unterschiede zwischen den Wiederholungsspektren gibt. Hier analysierten die Autoren die "Langzeiteffekte" von 24 Studien.  Demnach sind die Muskelzuwächse zwischen den Intensitätsbereichen80% 1RM identisch, solange das Volumen der Trainingseinheiten identisch ist.

Allerdings könnte es bei älteren Personen eine Ausnahme geben. Denn eine weitere Meta-Analyse von Straight und Kollegen (2020) untersuchte Muskelzuwächse in Studien mit älteren Probanden (59-88,5 Jahre) und fand heraus, dass die Probanden in den Studien insgesamt Zuwächse bei niedrigeren und hohen Intensitäten hatten, aber die Muskelhypertrophie in den Muskelfasern des Typs 2 bei Training mit höheren Intensitäten abgeschwächt war. Demnach scheint das Alter hier eine Rolle zu spielen.

Schaut man sich Probanden mit Kraftsporterfahrung an, so konnten Schoenfeld und Kollegen (2015) als auch Morton und Kollegen (2016) aufzeigen, dass das Training mit leichten Intensitäten (30-50% 1 RM) zu ähnlichen Muskelzuwächsen führen kann wie mit moderater/ hoher Intensität (70-90% 1RM), wenn dieses bis zum Muskelversagen ausgeführt wird.

Eine weitere Studie verglich den Effekt eines hochintensiven Trainings (Powerlifting-Stil: 7 Sätze mit dem 3 RM) mit moderat intensivem Training (3 Sätze mit dem 10 RM) über 8 Wochen (Schoenfeld et al., 2014). Auch wenn die Muskelzuwächse identisch waren, haben sich deutlich mehr Probanden über Schmerzen (Knie, Schulter-Tendinopathie) beschwert oder haben die Intervention vorzeitig beendet. Die Pausenzeit zwischen den Sätzen in der Gruppe mit hoher Intensität lag bei 3 Minuten während die Pausenzeit in der Gruppe mit niedriger Intensität nur bei 1,5 Minuten lag. Da drei Übungen/ Einheit in beiden Gruppen durchgeführt wurden, kann man sich vorstellen wie langwierig eine einzelne Einheit in der hochintensiven Gruppe war.

Auch wenn die Muskelzuwächse in den Wiederholungsbereichen insgesamt identisch zu seien scheinen, sollten Aspekte wie die Zeiteffizienz, Zielstellung und Verletzungswahrscheinlichkeit berücksichtigt werden. Muskuläre Hypertrophie lässt sich also in allen Wiederholungsbereichen generieren. Der Mythos, es ginge am Besten im 8-12 RM-Bereich, ist demnach widerlegt.

Kraftausdauer

Kraftausdauer, oder „lokale Muskelausdauer“, kann definiert werden als die Fähigkeit, muskulärer Ermüdung zu widerstehen, insbesondere bei der Verwendung von submaximalem Widerstand (Deschenes & Kraemer, 2002). Wenn man von Kraftausdauer spricht, meint man demnach einen Wiederholungsbereich von >15 Wiederholungen. Dabei werden mit dem Kraftausdauertraining folgende Anpassungen assoziiert: Verbesserung der Buffering - und oxidativen Kapazität, Erhöhung der Kapillarisierung und Mitochondrien-Dichte, Steigerung der metabolischen Enzymaktivität (Haff & Triplett, 2016).

Anderson und Kearney (1982) beobachteten erstmalig, dass eine „moderate“ Trainingsintensität (2 Sätze a 30-40 RM) und eine niedrige Intensität (1 Satz a 100-150 RM) im Vergleich zu einem „eher intensiven“ Training (3 Sätze a 6-8RM) die absolute Muskelausdauer im Bankdrücken um ~40% erhöhen konnte (vs. 28% bei 6-8RM). Dabei wurde die absolute Muskelausdauer in einem Wiederholungstest bei einem Gewicht von ~27 Kg gemessen.

Teilweise konträr dazu konnten Stone und Coulter (1994) zeigen, dass ein Training mit moderater Intensität (2 Sätze a 15-20 RM) zu besseren absoluten Muskelausdaueranpassungen im Oberkörper geführt hat als das Training mit niedriger (1 Satz a 30-40RM) oder hoher (3 Sätze a 6-8 RM) Intensität (+44% vs.20% und 31%). Anderseits sahen die Ergebnisse der Muskelausdauer im Unterkörper umgekehrt aus (+137%: 30-40RM; +80%: 15-20RM; +84%: 6-8RM).

Manche Studien beobachteten hingegen keinen Unterschied in Muskelausdaueranpassungen zwischen moderaten (70% 1RM) und niedrig intensiven (15% 1RM) (Buckner et al., 2020; Jesse et al., 2018) Kraftausdauertraining. Dies könnte dadurch begründet sein, dass oft nach den Trainingsinterventionen das neue % 1RM genutzt wird, um Kraftausdaueranpassungen zu untersuchen. Nutzt man hingegen auch nach Post-Intervention das % 1RM der Pre-Untersuchung (Buckner et al., 2020; Jesse et al., 2018), so könnten die Unterschiede zwischen verschiedenen Intensitätsbereichen minimiert werden. Hier gibt es allerdings noch Untersuchungs-Spielraum.


Fazit

Insgesamt scheinen die Anpassungsprozesse des Wiederholungskontinuums nicht primär auf den einen Wiederholungs-Korridor festgelegt zu sein, sondern verschwimmen teilweise von niedrigen zu hohen Intensitäten und umgekehrt. Kraftzuwächse können in jedem Wiederholungsbereich erzielt werden, sind allerdings im hochintensiven Bereich am effektivsten.

Muskelhypertrophie lässt sich vermutlich in jeglichem Wiederholungs-/ Intensitätsbereich generieren, solange das Training nah genug am Muskelversagen durchgeführt wird. Das Kraftausdauertraining scheint Tendenzen zu hohen Wiederholungsbereichen zu haben. Die Evidenz ist allerdings hier ein wenig schwammig. Für eine detaillierte Übersicht kann das Review von Schoenfeld und Kollegen (2021) empfohlen werden.

Aufmacherbild: © Shutterstock.com__195844940_lunamarina


Der Autor

Stephan Geisler ist ein deutscher Sportwissenschaftler und Professor für Fitness und Gesundheit an der IST-Hochschule in Düsseldorf. Er ist auch bekannt als „Fitnessprofessor“ und hat den Deutschen Fitnesswissenschaftsrat mitinitiiert.


 

Literatur:

Anderson, T., & Kearney, J. T. (1982). Effects of three resistance training programs on muscular strength and absolute and relative endurance. Research Quarterly for Exercise and Sport, 53(1), 1–7. https://doi.org/10.1080/02701367.1982.10605218

Buckner, S. L., Jessee, M. B., Dankel, S. J., Mattocks, K. T., Mouser, J. G., Bell, Z. W., Abe, T., Bentley, J. P., & Loenneke, J. P. (2020). Blood flow restriction does not augment low force contractions taken to or near task failure. European Journal of Sport Science, 20(5), 650–659. https://doi.org/10.1080/17461391.2019.1664640

DELORME, T. (1945). Restoration OF MUSCLE POWER BY HEAVY-RESISTANCE EXERCISES. The Journal of Bone & Joint Surgery, 27(4), 645–667. https://insights.ovid.com/bone-joint-surgery/jbjs3/1945/27/040/restoration-muscle-power-heavy-resistance/14/00401515

Deschenes, M. R., & Kraemer, W. J. (2002). Performance and physiologic adaptations to resistance training. American Journal of Physical Medicine & Rehabilitation, 81(11 Suppl), S3-16. https://doi.org/10.1097/00002060-200211001-00003

Haff, G., & Triplett, T. (Eds.). (2016). Essentials of strength training and conditioning (Fourth edition). Human Kinetics.

Haun, C. T., Vann, C. G., Roberts, B. M., Vigotsky, A. D., Schoenfeld, B. J., & Roberts, M. D. (2019). A Critical Evaluation of the Biological Construct Skeletal Muscle Hypertrophy: Size Matters but So Does the Measurement. Frontiers in Physiology, 10, 247. https://doi.org/10.3389/fphys.2019.00247

Jenkins, N. D. M., Miramonti, A. A., Hill, E. C., Smith, C. M., Cochrane-Snyman, K. C., Housh, T. J., & Cramer, J. T. (2017). Greater Neural Adaptations following High- vs. Low-Load Resistance Training. Frontiers in Physiology, 8, 331. https://doi.org/10.3389/fphys.2017.00331

Jessee, M. B., Buckner, S. L., Mouser, J. G., Mattocks, K. T., Dankel, S. J., Abe, T., Bell, Z. W., Bentley, J. P., & Loenneke, J. P. (2018). Muscle Adaptations to High-Load Training and Very Low-Load Training With and Without Blood Flow Restriction. Frontiers in Physiology, 9, 1448. https://doi.org/10.3389/fphys.2018.01448

Kumar, V., Selby, A., Rankin, D., Patel, R., Atherton, P., Hildebrandt, W., Williams, J., Smith, K., Seynnes, O., Hiscock, N., & Rennie, M. J. (2009). Age-related differences in the dose-response relationship of muscle protein synthesis to resistance exercise in young and old men. The Journal of Physiology, 587(1), 211–217. https://doi.org/10.1113/jphysiol.2008.164483

Lopez, P., Radaelli, R., Taaffe, D. R., Newton, R. U., Galvão, D. A., Trajano, G. S., Teodoro, J., Kraemer, W. J., Häkkinen, K., & Pinto, R. S. (2020). Resistance Training Load Effects on Muscle Hypertrophy and Strength Gain: Systematic Review and Network Meta-analysis. Medicine and Science in Sports and Exercise, Publish Ahead of Print. https://doi.org/10.1249/MSS.0000000000002585

Morton, R. W., Oikawa, S. Y., Wavell, C. G., Mazara, N., McGlory, C., Quadrilatero, J., Baechler, B. L., Baker, S. K., & Phillips, S. M. (2016). Neither load nor systemic hormones determine resistance training-mediated hypertrophy or strength gains in resistance-trained young men. Journal of Applied Physiology (Bethesda, Md.: 1985), 121(1), 129–138. https://doi.org/10.1152/japplphysiol.00154.2016

Schoenfeld, B. J. (2013). Postexercise hypertrophic adaptations: A reexamination of the hormone hypothesis and its applicability to resistance training program design. The Journal of Strength and Conditioning Research, 27(6), 1720–1730. https://doi.org/10.1519/JSC.0b013e31828ddd53

Schoenfeld, B. J., Peterson, M. D., Ogborn, D., Contreras, B., & Sonmez, G. T. (2015). Effects of Low- vs. High-Load Resistance Training on Muscle Strength and Hypertrophy in Well-Trained Men. The Journal of Strength and Conditioning Research, 29(10), 2954–2963. https://doi.org/10.1519/JSC.0000000000000958

Schoenfeld, B. J., Ratamess, N. A., Peterson, M. D., Contreras, B., Sonmez, G. T., & Alvar, B. A. (2014). Effects of different volume-equated resistance training loading strategies on muscular adaptations in well-trained men. The Journal of Strength and Conditioning Research, 28(10), 2909–2918. https://doi.org/10.1519/JSC.0000000000000480

Stone, W., & Coulter, S. (1994). Strength/endurance Effects From Three Resistance Training Protocols With Women. Journal of Strength and Conditioning Research, 8(4), 231–234. https://insights.ovid.com/strength-conditioning-research/jscr/1994/11/000/strength-endurance-effects-three-resistance/5/00124278

Straight, C. R., Fedewa, M. V., Toth, M. J., & Miller, M. S. (2020). Improvements in skeletal muscle fiber size with resistance training are age-dependent in older adults: A systematic review and meta-analysis. Journal of Applied Physiology (Bethesda, Md.: 1985), 129(2), 392–403. https://doi.org/10.1152/japplphysiol.00170.2020


‹ Zurück

© TT-Digi 2024