Ernährung & Gesundheit

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23.11.2022

Medical Fitness oder Medical Washing?

Medical Fitness oder Medical Washing?

Bereits vor der Corona-Pandemie hat sich das Gesundheitsbewusstsein der Menschen fast jährlich erhöht, wie eine Studie von IBISWorld zeigt. Und die Fitnessbranche hat längst auf dieses Bedürfnis reagiert: 44,2% der Anlagen in Deutschland positionieren sich nach eigener Aussage im Bereich „Gesundheit“. In den letzten Jahren sind in diesem Bereich aber kaum Verschiebungen zu erkennen. Handelt es sich also eher um Medical Fitness oder um Medical Washing? Dieser Frage geht Andreas M. Bechler nach.

Der Blick auf Fitnessanlagen mit Positionierung Gesundheit ergibt für den Zeitraum zwischen 2017 und 2022 recht ähnliche Werte und nur einen minimalen Anstieg von 43,5 auf 44,2% gemäß der Eckdaten der deutschen Fitness-Wirtschaft.

Nichtdestotrotz scheint die allgemeine Wahrnehmung für das Thema Gesundheit im Fitnessbereich gestiegen zu sein, zumindest wurde dies häufig als Begründung für Fitnesstraining trotz Pandemie herangezogen. Zunehmend wurde hierbei der Begriff „Medical Fitness“ verwendet, um dem Angebot einen medizinischen und damit vertrauenswürdigen Touch zu geben.

Medical Fitness - ein erster Definitionsansatz

Aufgrund des erwiesenermaßen positiven Effekts eines Trainingsprogramms auf die Gesundheit des Menschen, findet man natürlich auch für den Begriff „Medical Fitness“ und diverse damit verwandte Begriffe verschiedene Definitionen.

Ich möchte an dieser Stelle auf eine Definition zurückgreifen, die Marvin Oldfield, ehemaliger Chief Sales Marketing Officer bei ERGOFIT, in einem Artikel für die TT-DIGI (02/22, S. 72-–73) vorgestellt hat:

Medical Fitness bedeutet evidenzbasiert und gesundheitsorientiert zu trainieren, also mit einem wissenschaftlich fundierten und damit nachgewiesenermaßen evidenten Heilversprechen. Im Vordergrund stehen die Sicherheit und eine verbesserte Gesundheit des Patienten.“

Ich möchte diese Formulierung nun als Ausgangspunkt für die weitere Auseinandersetzung mit dem Begriff „Medical Fitness“ verwenden, denn diese Definition stellt bereits einige Bedingungen an ein Studio mit einem wirklichen „Medical Fitness“- Angebot.

Bedingungen an ein „Medical Fitness“-Angebot

Marvin selbst definiert bereits in seinem Artikel einige wesentliche Bedingungen, die er an ein „Medical Fitness“-Angebot stellt:

  • ››› Personal mit adäquater Ausbildung, entsprechenden Kenntnissen und Erfahrungen
  • ››› Zertifiziertes Trainingsgerät

Im Punkt Personal bin ich selbstverständlich bei Marvin. Was das Thema Trainingsgerät angeht, sehe ich es nur teilweise so. Bedenkt man, was ein guter Physiotherapeut nur mit einem Gymnastikball, kleinen Hanteln oder auch nur dem Körpergewicht mit dem Patienten machen kann, muss man vielleicht sogar das Thema Trainingsgerät zweitrangig ansehen.

Natürlich sollte man trotzdem Wert auf entsprechend zertifizierte Geräte legen, da dies gerade mit Blick auf Krankenkassen etc. durchaus noch Bedeutung bekommen könnte.

Damit sind die Bedingungen an ein entsprechendes Angebot aber noch nicht erschöpfend erfüllt. Ich möchte den Bedingungen von Marvin noch weitere wichtige Themen hinzufügen, ohne die „Medical Fitness“ nicht funktionieren kann. Ich orientiere mich dabei an der von mir selbst aufgestellten „Customer Journey eines Gesundheitsanbieters“ (vgl. Artikel auf fibo.com).

Produkt - Zusammenschluss mit Physio, Rehasport, Präventionskurse

Ein echtes „Medical Fitness“-Angebot ist in meinen Augen mehr als einfach nur Fitnesstraining. „Medical Fitness“ bedeutet für mich, die gesamte Customer Journey eines Gesundheitsangebots abzudecken.

Eigenständiges Fitnesstraining ist hierbei nur das Ende der Kette. Den Anfang macht die Therapie, welche ich somit auch in meiner Anlage anbieten muss. Ich brauche also zwingend eine Physiotherapie mit Zulassung. Auch der Übergang muss mit entsprechenden adäquaten Angeboten besetzt sein (in der Regel Rehasport und Präventionskurse).

(Betreuungs-)Prozesse - die verschiedenen Steps miteinander verbinden

Das beste Produkt kann nicht funktionieren, wenn ich nicht die notwendigen Prozesse dahinter lege. So verhält es sich auch in diesem Fall. Die unterschiedlichen Phasen Therapie, Übergang und Training müssen mit adäquaten Prozessen, hierbei kann das 5-Stufen-Modell der Trainingssteuerung hilfreich sein, hinterlegt sein.

Jede Phase in diesen 5 Stufen, auch in der Kundenkommunikation gedacht und jeweils einen sinnvollen Übergang zur nächsten Phase geplant, hält den Kunden im eigenen System.

Preisgestaltung

Es mag überraschend klingen, aber ich ordne auch den Preis als einen wesentlichen Aspekt zur Wahrnehmung als echter „Medical Fitness“- Anbieter hinzu. Natürlich will ich hier keinen expliziten Wert angeben, den ein entsprechendes Angebot innehaben sollte. Wir sollten uns aber im Klaren darüber sein, dass es kein zu geringer Preis sein darf. Zum einen aus Kostengründen. „Medical Fitness“ mit allen hier genannten Bedingungen kostet Geld, damit es überhaupt angeboten werden kann. Diese muss der Kunde dann auch tragen (wollen).

Der Preis trägt allerdings ebenfalls zur Qualitätswahrnehmung bei (Preis-Qualitäts-Relation). Ergo würde ein Anbieter einen zu niedrigen Preis verlangen, würde der Kunde dies auch mit einer geringeren wahrgenommenen Qualität „honorieren“.

Kommunikation

Ein weiterer entscheidender Eckpfeiler eines „Medical Fitness“-Angebots liegt in der Kommunikation. Als Anbieter muss ich auch meine Expertise klar unter Beweis stellen können. „Content-Marketing“ ist hier das entscheidende Stichwort. Ich muss also dem Kunden bereits im Vorfeld bereit sein, wertvolle Infos zum jeweiligen gesundheitlichen Problem zu geben, die auch gleichzeitig meine eigene Expertise verdeutlichen.

Potenzielle Werbemittel sind in diesem Bereich Blogartikel, ePapers, Podcasts, YouTube-Videos etc. Eine erfolgreiche Kommunikation wird damit zum Long-Run und kurzfristige Erfolge sind eher unwahrscheinlich.

Personal

Zu guter Letzt möchte ich nochmals auf das Personal zu sprechen kommen. Damit steht und fällt im Grunde das gesamte Gesundheitsangebot. Die Mitarbeiter müssen über eine adäquate und abgeschlossene Ausbildung verfügen, so dass sie auch wirklich mit den typischen Krankheitsbildern der Menschen umgehen können. Personen in der Ausbildung wie beispielsweise duale Studenten zählen für mich nicht dazu.

Die Eckpfeiler sind abgesteckt. Aber wie sieht es in der Realität der Studios aus?

Problem: Viele „Gesundheitsanbieter“ erfüllen die Bedingungen nicht.

Hier muss man leider konstatieren, dass unsere Branche zwar immer schnell dabei ist, wenn es darum geht, das Marketing um reißerische Buzz-Words anzureichern, die Realität aber leider – nicht zum ersten Mal – ein anderes Bild zeigt.

Das oft verwendete Wort „PremiumDiscounter“ ist ein weiteres Beispiel, welches oft nicht hält, was es vermeintlich verspricht. Aber auch Bezeichnungen wie „Gesundheitsstudio“ oder eben auch „Medical Fitness“ sind in ihrer Verwendung aufgrund fehlenden Schutzes nicht vor ungeeigneten Angeboten gefeit. Dies betrifft dann allerdings nicht nur den einzelnen Anbieter, sondern kann sich massiv rufschädigend auf die gesamte Branche und damit unsere Wahrnehmung bei entscheidenden Entscheidungsträgern in Politik und Gesundheit auswirken.

Die weitreichenden Nachteile sind konkret:

  • ››› Enttäuschte Kunden, die dem Label „Medical Fitness“ nicht mehr vertrauen
  • ››› Krankenkassen, die nicht mit der Fitnessbranche zusammenarbeiten wollen
  • ››› Staatliche Institutionen, die sich genötigt sehen, regulierend einzugreifen

Keinen dieser Nachteile halte ich für eine zukunftssichere Fitnessbranche für vernachlässigbar. Wir müssen stärker in Qualität und Standards investieren und nicht wieder eine neue „Marketing-Sau“ durchs Dorf treiben.

Fazit: „Medical Fitness“ sehr gerne - aber richtig!

Meine Sorge, dass „Medical Fitness“ zum Marketing-Spruch verkommt, halte ich auch am Ende dieses Artikels weiterhin für berechtigt. Ich kann hierbei nur an die Fitnessbranche appellieren: Lasst uns ein echtes „Medical Fitness“ bzw. Gesundheitsangebot schaffen! Nur so erhalten wir das Vertrauen in unsere Branche und werden zu dem, was ich der Branche so sehr wünsche: der zentrale Anbieter für die Gesundheit der Menschen und damit am Ende systemrelevant. Lasst es uns angehen!

Andreas M. Bechler


Literaturverzeichnis

Academy of Sports (2022): „Fünf-Stufen-Modell der Trainingssteuerung“, online verfügbar unter https://www.academyofsports.de/de/lexikon/fuenf-stufen-modell-dertrainingssteuerung/ (zuletzt abgerufen am 04.10.2022)

Bechler, Andreas (2022): „Die Customer Journey eines Gesundheitsanbieters“, online verfügbar unter https://www.fibo.com/de-de/medien/News/Customer-JourneyGesundheitsanbieter.html (zuletzt abgerufen am 04.10.2022),

Reed Exhibitions Deutschland GmbH IBISWorld (2021): „Gesundheitsbewusstsein“, online verfügbar unter https://www.ibisworld.com/de/bed/gesundheitsbewusstsein/409/ (zuletzt abgerufen am 04.10.2022)

Schulz-Hardt, Stefan (2021): „Preis-Qualitäts-Relation“, online verfügbar unter https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/preis-qualitaets-relation (zuletzt abgerufen am 04.10.2022), Hogrefe AG

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