Therapie

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31.10.2022

Zukunftsmarkt Diabetes

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Teil 4: Best Practice Bewegungstherapie – aller Anfang ist schwer

Peter A. ist Diabetiker. Er absolvierte eine spezielle Bewegungstherapie, die auf Diabetiker abgestimmt ist. Sie geht auf die individuelle Verfassung des Patienten ein und stimmt die Bewegungstherapie auf den Gesundheitszustand ab. Ein Bericht aus der Praxis von Christoph Anrich.

Peter ist über Empfehlungen vor gut einem Jahr auf mich zugekommen. In der Tat gibt es für Menschen, die an Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Adipositas und Nephropathie leiden, viel zu wenige Experten. Zumeist werden Medikamente verschrieben, die bei chronischem Nierenversagen nicht unproblematisch sind.

Die Ausgangslage

Peter kam mit den Diagnosen Diabetes mellitus Typ 2, Adipositas, chronischer Nierenerkrankung (Stadium G4A3), Hypertonie und weiteren Komorbiditäten, wie Entzündungswerte im Blut und in den Beinen, zu mir. Die Krankheitslast war dramatisch. Dementsprechend waren die Mobilität und auch die Lebensqualität extrem eingeschränkt.

In solchen Fällen überlege ich mir zuerst, welche Lebensstilinterventionen therapeutisch überhaupt möglich und auch sinnvoll sind. Konkrete Hinweise zur Ernährung sind vergleichsweise einfach. Doch mein Ziel ist es, eine effektive Bewegungstherapie für kurative Prozesse zusammenzustellen.

Wenn, wie in diesem Fall, eine Person nur mühsam vom Stuhl aufstehen und nur maximal zwei bis drei Treppenstufen am Stück gehen kann und im Freien nach zehn Metern stehen bleiben muss, weil das HerzKreislauf-System Probleme bereitet, dann ist klar: Jede Empfehlung, wie man sich nach den Vorgaben der Sportmedizin oder WHO bewegen sollte, ist nicht umsetzbar. Ich musste für Peter wohldosiert und in kleinen Schritten ein Setting von individuellen Bewegungsmodalitäten bestimmen.

Die Krankheitslast

Es bestanden drei gravierende Herausforderungen. Zum einen, dass eine chronische Nephropathie in diesem Stadium nicht heilbar ist, sondern eine Dialyse oder Nierentransplantation in naher Zukunft zu erwarten ist. Über Medikamente versucht man den Krankheitsverlauf hinauszuzögern. Zudem muss man bei Bluthochdruck hohe Belastungsspitzen durch Bewegung vermeiden, um die Nierenproblematik nicht zu verstärken, aber auch, um keine Herzkomplikationen zu provozieren.

Des Weiteren bedingt die Kombination von Adipositas mit Diabetes mellitus Typ-2, dass die Energieversorgung nicht normal funktioniert. Glykogen (als Energiespeicher) steht dem Muskel eben nicht hinreichend zur Verfügung, weshalb bei Bewegung relativ rasch der „Tank“ – die Energiereserven im Muskel – leer ist. Die betreffenden Personen wollen sich bewegen, können es aber gar nicht wie erhofft. Zudem sind die Stoffwechselprozesse in den Mitochondrien gestört. Die Mitochondrien sind die Kraftwerke jeder Zelle. So gesehen kann man sagen, dass, wenn der Motor schwächelt und der Treibstoff nicht ordentlich zugeführt werden, keine reibungslose Bewegung zustande kommt.

Die psychische Belastung

Obendrein sind psychische Belastungen, depressive Verstimmungen und Ängste vorhanden.

Peter weiß um die kritische Lage und will etwas für sich tun. Sobald er sich aber intensiver bewegt, fehlt ihm die Kraft, kommen Schwindelzustände auf und die Beine streiken, manchmal schmerzen sie sogar. Außerdem war sich Peter durch die ärztliche Beratung bewusst, dass jede Blutdruckerhöhung eine Belastung für die Niere darstellt, die es eigentlich zu vermeiden gilt. Zwangsläufig hatte Peter Ängste, ob er nicht beim „Training“ zu viel macht. Und wenn er sich von der Familie zur Bewegung motivieren ließ, erfuhr er, wie der Organismus streikte. Manchmal kamen dann unberechtigte Vorwürfe hinzu, Peter wolle sich gar nicht bewegen, was die depressive Stimmungslage verstärkte.

Ich musste also darauf achten, dass die Belastungsdosierung angemessen gewählt wurde, um kleine Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Dabei wählte ich am Anfang ein Setting aus Beweglichkeitsübungen mit dem PI-Effekt (PI = progressiv-intermittierend), Einheiten bei niedriger Wattzahl auf dem Ergometer. Wesentlich sind moderate, aber ständige umgesetzte Alltagsbewegungen, um lange Sitzzeiten zu vermeiden. Ergänzend wählte ich Kraftübungen mit Körperteilen aus, die wir gemeinsam erprobt und geübt haben.

Das größte Problem für Peter war seine gefühlte Ohnmacht: Ich kann nichts mehr tun, außer die Medikamente regelmäßig zu nehmen. Außerdem konnte er die körperlichen Reaktionen bei Bewegung nicht deuten: Warum wird es mir schwindlig? Weshalb streiken die Beine? Deswegen erklärte ich Peter die Zusammenhänge physiologisch und metabolisch. Dabei verwendete ich nicht Fachbegriffe, sondern die Probleme wurden in bildhaften Vergleichen erörtert.

Motivierende Zielvereinbarungen

Entscheidend waren für mich die Wünsche, die Peter hatte. Willst du deine Mobilität und den Gesundheitszustand verbessern? Bist du bereit, dafür zielgeleitete Maßnahmen umzusetzen? Welche Hindernisse halten dich von den sinnvollen Lebensstilinterventionen ab? Die Sorgen und Fragen besprachen wir gemeinsam. Dabei achtete ich auf maximale Transparenz und Ehrlichkeit. Heilungsversprechen bei chronischem Nierenversagen sind unseriös.

Ich besprach mit Peter seine Hoffnungen und er definierte Ziele, die er erreichen will. Man nennt das eine sinnorientierte Zielerreichungsskala, die man anschließend mit weiteren Unterzielen ergänzt. Mehr dazu lesen Sie in der nächsten Ausgabe.

Christoph Anrich


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