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25.05.2022

„Wir wünschen uns mehr Physiotherapeuten als Partner!“

„Wir wünschen uns mehr Physiotherapeuten als Partner!“

Interview mit Eva Schobert von Herodikos

Ängste und Vorbehalte sind schwer auszuräumen. Davon kann die Medizinerin und Athletiktrainerin Eva Schobert ein Lied singen. Mit einem Studienkollegen zusammen kam sie auf die Idee, eine bewegungstherapeutische App zu entwickeln, die aber gerade in der Physiotherapie selbst noch keinen Anklang gefunden hat. Die Gründe sind vielfältig.

Herodikos ist eine App-gestützte, ärztlich verordnete Behandlung von Knie- und Rückenschmerzen. Bei Medizinern, Betriebskrankenkassen sowie jüngst bei der AOK Niedersachsen und bei der Techniker Krankenkasse (TK) ist die App mit Übungen gegen die Schmerzen bereits positiv wahrgenommen und ins Programm eingebettet worden. Doch Physiotherapeuten tun sich damit noch schwer. „Physiotherapeuten sind tatsächlich eine harte Nuss“, bekennt Gründerin Eva Schobert.

Das Blended-Care-Modell von Herodikos unterscheidet sich von anderen Apps oder auch von einer DiGA. Das Wesentliche ist, dass Patienten die App „nur“ begleitend für die Übungen Zuhause nutzen. Die ärztliche und therapeutische Betreuung steht weiterhin im Vordergrund. „Uns ist es ganz wichtig, dass wir mit den Leistungserbringern zusammenarbeiten, sei es mit den Ärzten, sei es mit den Therapeuten. Eine isolierte App wollten wir nie entwickeln, deshalb sind der Dialog und der Kontakt extrem wichtig“, so CEO Eva Schobert. TT-DIGI sprach mit ihr.

TT-DIGI: Frau Schobert, wie kamen Sie auf die Idee, eine bewegungstherapeutische App zu entwickeln?

Eva Schobert: Ich bin Ärztin und arbeitete in den USA im Athletiktraining mit Leistungssportlern. Zurück in Deutschland vermisste ich so eine Individualisierung und Langzeitbetreuung wie in den USA. Ich begann ein Zweitstudium im Bereich Trainingswissenschaften und lernte dort meinen Mitgründer Lasse kennen, der ebenfalls Arzt ist. Wir beide waren uns einig, dass es einen anderen Weg geben muss, und erinnerten uns an den Arzt Herodikos in der Antike, den Lehrer von Hippokrates.

So kam es auch zur Namensgebung der App?

Ja, er war der erste Arzt, der überliefert mit Bewegung therapiert hat. Er hat seinen Patienten Bewegungspläne aufgestellt. Er war der Erste, der sagte: Mit Lebensstilveränderungen können wir Gesundheit schaffen. So kam der Name zustande. Wir wollen Ähnliches erreichen.

Sie schließen Selektivverträge mit Krankenkassen ab, vor allem mit Betriebskrankenkassen, aber auch mit der Techniker. Warum lassen Sie Ihr Produkt nicht als DiGA zu?

Bei DiGAs wird die Hauptleistung von der App erbracht. Das ist bei uns nicht der Fall. Bei uns ist die App ein Tool für den Patienten, Zuhause selbst zu trainieren. Der Patient wird immer noch persönlich betreut. Deswegen können wir gar nicht als DiGA gelistet werden. Wir setzen auf ein Blended-Care-Modell.

Was ist das Besondere daran?

Wir bevorzugen das Blended-Care-Modell, weil es das Beste aus beiden Welten nutzt – aus der persönlichen Betreuung und der digitalen Therapie – und zusammen zu einem ganzheitlichen Produkt gestaltet. Und das geht eben nicht als DiGA. Wir sind überzeugt, dass die Kombination dazu führt, dass die Adhärenz des Patienten hoch bleibt und sie auch wirklich davon profitieren und das langfristig nutzen.

Erläutern Sie bitte das Modell der Selektivverträge.

Es gibt zwei Modelle. Bei OrthoHeroBKK, das ist die Kooperation mit den BKKs und dem Bundesverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU), übernimmt der Orthopäde in der Praxis die Betreuung. Er führt eine Bewegungsanalyse durch und erstellt dann den individuellen Therapieplan für den Patienten. Er gibt dem Patienten einen Code für die App, sodass er Zuhause mit den Übungen beginnen kann. Der Patient kann immer wieder Feedback geben und wird mit Follow-up-Terminen in der Praxis weiter betreut. Es werden die Fortschritte besprochen oder wie eventuell der Therapieplan angepasst werden muss. Herodikos Plus ist das Modell, das wir beispielsweise mit der TK abgeschlossen haben. Der Arzt schreibt ein Rezept aus und damit wendet sich der Patient direkt an Herodikos. Wir übernehmen dann die physiotherapeutische Betreuung über die Videosprechstunde. Unsere Physiotherapeuten testen die Bewegungsfähigkeit des Patienten, erstellen den Trainingsplan und übernehmen die weitere Betreuung in Follow-up-Calls.

Wie funktioniert diese Teletherapie per App?

Die Therapeuten haben die gleiche App wie der Patient. Sie haben eine Verwaltungsoberfläche für ihre Patienten und starten die App mit einem Fitness-Check, einer indikationsspezifischen Bewegungsanalyse. Bei Rückenschmerzen schaut sich der Therapeut beispielsweise den Einbandstand an, um zu sehen, wie die Rumpfstabilität, wie die Stabilität im Sprunggelenk ist. Die App führt durch die Tests und der Therapeut gibt die Ergebnisse in die App ein. Mit diesen zusätzlichen Informationen, vor allem zu muskulären Dysbalancen oder Verkürzungen, generiert die App einen Trainingsplan für den Patienten. Alle Trainingsparameter, aber auch die Übungen an sich können jederzeit angepasst werden. Es wird ein Code generiert, mit dem der Patient dann trainieren kann.

Ist das mit den Hausaufgaben vergleichbar?

Der Plan ist allerdings individuell. Jede Übung ist einzeln auf den Patienten abgestimmt. Außerdem kann der Patient während des Trainings dem Therapeuten Feedback geben. Zum Beispiel: Bei der und der Übung habe ich immer Schmerzen, ich kann mich nicht knien. Die Informationen gehen per E-Mail an den Therapeuten, der gleich in der E-Mail darauf klicken kann, um das im Trainingsplan entsprechend schnell zu ändern oder anzupassen. Wir automatisierten ein paar Punkte, sodass man keinen großen Verwaltungsaufwand hat.

Es geht ja darum, dass der Patient dabei bleibt ...

Ja. Wichtig ist, dass der Patienten durchgehend trainiert. Würde er schon am Anfang merken, oh, die Übung ist mir zu schwer, bei der Übung habe ich immer Schmerzen, würden wir den Patienten verlieren. Als Therapeut sehe ich auch, wie häufig der Patient trainiert hat. Das wird ebenso aktiv beim Folgetermin mit dem Patienten besprochen. Wir versuchen, smarte Ziele zu setzen, betreiben Barrieremanagement und wollen die Adhärenz steigern. Das ist das Allerschwierigste in der Bewegungstherapie: dass Patienten regelmäßig über einen bestimmten Zeitpunkt ihre Übungen absolvieren. Im Blended-Care-Modell haben wir spezielle Tools, damit Patienten länger motiviert bleiben.

Wie viele Therapeuten verwenden schon die App?

Physiotherapeuten sind tatsächlich eine harte Nuss. Wir haben uns in den Praxen sehr schwergetan, weil oft die technischen Voraussetzungen wie WLAN nicht gegeben sind. Die Selektivverträge sind jetzt so ausgerichtet, dass entweder die Versorgung über Herodikos läuft oder eben über die Arztpraxen. Wir wünschen uns aber mehr Physiotherapeuten als Partner. Wir trafen allerdings auf sehr viel Ablehnung gegenüber dem Digitalen.

Wie erklären Sie sich die Vorbehalte?

Es ist sehr schwer zu vermitteln, dass wir hier eine App haben, die die Behandlung abrunden, unterstützen und effektiver gestalten soll – aber es soll Therapeuten nicht ersetzen! Wir wollen den persönlichen Kontakt zwischen Patienten und Therapeuten nicht kappen! Es besteht oft die Angst, ersetzt zu werden, was totaler Quatsch ist! Die Expertise liegt weiterhin beim Therapeuten – oder beim Arzt. Das ist uns ganz wichtig. Aber es fehlt derzeit auch die Finanzierung, um die App als Verordnung in ein normales Rezept für Physiotherapie mit einzubinden. Die Praxen, die das nutzen würden, wollen ja bezahlt werden. Dafür bräuchten wir mehr Lobby aus der Physiotherapie. Die Krankenkassen müssen solche Modelle ja finanzieren. Hierfür braucht man die Therapeuten im Rücken, die sagen, ja das wollen wir nutzen. Das ist eben der Knackpunkt, dass wir hier noch auf große Ablehnung gestoßen sind.

Und warum funktioniert das mit den Ärzten?

Dadurch dass wir den BVOU im Rücken haben, konnten wir eine entsprechende Vergütung für die Orthopäden bei den Krankenkassen aushandeln. Wenn wir vonseiten der Physiotherapie Unterstützung bekämen, dann könnte man nochmals ganz andere Versorgungsmöglichkeiten verhandeln. Ja, da muss ein bisschen Dampf dahinter sein. Das ist aber auch lang und zeitaufwendig.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Reinhild Karasek. 


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