Therapie

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17.05.2021

Was motiviert Schwerkranke?

Was motiviert Schwerkranke?

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Der Februar ist der Monat des Weltkrebstags, weshalb Bewegung, körperliche Aktivität und Sport in der Krebsbehandlung wieder in das öffentliche Bewusstsein gerückt wurden. Aber wie bekommt man schwerkranke Menschen dazu? Wie kann man sie motivieren?

Der Deutsche Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie e.V. (DVGS) wies darauf hin, dass eine Sport- und Bewegungstherapie mittlerweile zum festen Bestandteil moderner Krebstherapie gehört und Eingang in die Leitlinien zur Krebsbehandlung findet. Regelmäßiges Ausdauer- und Krafttraining hätten einen positiven Einfluss bei krebsbedingten Beeinträchtigungen, so der DVGS.

Zudem gab es vom 19. Februar bis 23. März einen Mitmachwettbewerb „Beweg Dich gegen Krebs“ in Dresden, der von der Stiftung Leben mit Krebs initiiert worden war. Im Zeitraum von vier Wochen sollten die Teilnehmer ihre Trainingserfolge auf einer App mit anderen teilen. Körperliche Bewegung von Walken bis hin zum Fitnesstraining, ob einzeln oder im Team. Als Motivation diente der digitale Vergleich via App. Die Aktionen werden im April in Magdeburg und im Mai in Mainz fortgeführt.

Auch andere Apps – wie die App „Onko-Nachsorgeaktiv“ vom Onkologischen Schwerpunkt Stuttgart (OPS) oder „movival®“ von der movival GmbH aus Achern – widmen sich dem Thema Bewegung und Krebs. Denn die Vorteile der Bewegung, von der Arbeit im Garten über Laufen bis hin zum Gerätetraining sind wissenschaftlich belegt. Das manifestiert auch ein Beitrag von Dr. Elke Oberhofer in der Zeitschrift MMW – Fortschritte der Medizin, der am 18. März publiziert wurde. Der Beitrag „Sport bei Krebs: Warum er sich für Patienten wirklich lohnt!“ betont nochmals die Studienlage, die von einer Abnahme der therapiebedingten Nebenwirkungen spricht, von einer sinkenden Mortalitätsrate und der Verhinderung von Rezidiven.

Gleichzeitig geht es auch immer um die Frage, wie Krebs patienten trotz ihrer schweren Erkrankung in die Bewegung zu bringen sind. Helena Koine, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Deutschen Sporthochschule Köln, entwickelte für ihre Masterarbeit eine Online-Intervention „Step into Motion“, um jungen Erwachsenen in der Krebsnachsorge den Zugang zur körperlichen Aktivität zu erleichtern.

Professor Dr. med. Michael H. Schoenberg setzte sich bereits vor Jahren in Fachartikeln wie in seinem Buch „Aktiv leben gegen Krebs“, das 2016 im Piper Verlag erschienen ist, mit der Notwendigkeit der körperlichen Aktivität bei Krebs aus. Er ist ehemaliger Chefarzt der Chirurgischen Abteilung und Ärztlicher Direktor am Rotkreuzklinikum München mit Schwerpunkt Onkologie sowie Beirat der Bayerischen Krebsgesellschaft.

TT-DIGI: Wie wirkt sich die verbesserte Prognose aus?
Professor Schoenberg: Als Erstes verbessert körperliche Aktivität nach einer Therapie – zum Beispiel nach einer Chemotherapie oder einer Bestrahlung mit all ihren Nebenwirkungen – deutlich die Lebensqualität. Außerdem
steigt die Überlebensrate, das Overall Survival, deutlich auf bis zu 20 Prozent.

TT-DIGI: Welche Art der Bewegung empfehlen Sie?
Professor Schoenberg: Gegenfrage: Wie sehen die Voraussetzungen aus, dass sich jemand nach einer Chemotherapie körperlich bewegt? Schon allein das Wort Sport wirkt nach einer Chemotherapie wie ein Gegensatz. Häufig fühlt man sich danach sehr elend. Deshalb gefällt mir der englische Begriff „physical activity“ besser. Der Punkt ist: Es muss machbar sein und es muss Spaß machen. Deshalb ist zuerst der unterschwellige Bereich, wie zum Beispiel das etwas strammere Spazierengehen oder das Walking, zu empfehlen, sodass Patienten überhaupt
erst einmal in die Bewegung kommen. Wenn eine körperliche Aktivität zu anstrengend ist, dann müssen sich Patienten dazu zwingen. Das wäre hinsichtlich der Motivation nicht sehr sinnvoll.

TT-DIGI: Wie stehen Sie generell zur Onkologischen Trainingstherapie (OTT)?
Professor Schoenberg: Das Trainingsprogramm OTT ist sinnvoll, wenn einer das gerne macht. Denn es geht hier um den Muskelaufbau, was keinesfalls vernachlässigt werden sollte. Wenn man seine Muskeln nicht kräftigt, dann verschmächtigen, so heißt der Terminus technicus, die Muskeln und das ist sehr schlecht. Es beeinflusst die Prognose der Krebserkrankung negativ. Muskelaufbau bedeutet auch „ich tue etwas für mich und ich spüre mich“. Das hat also durchaus auch einen starken psychologischen Charakter. Wenn es aber den Patienten über Gebühr anstrengt, muss der Physiotherapeut, der Trainer das Training anders gestalten, also den Bedürfnissen und den Möglichkeiten des Patienten anpassen.

TT-DIGI: Wie kann man Patienten die körperliche Aktivität näherbringen?
Professor Schoenberg: Es kommt darauf an, dass sich die Patienten regelmäßig bewegen. Es gibt zwei Möglichkeiten, den Patienten dazu zu motivieren. Die eine ist die sogenannte „reward substitution“. Das bedeutet: Derjenige, der sich bewegt, belohnt sich direkt danach mit einem Zuckerl. Denn den körperlichen Effekt, den spüren Sie erst nach Wochen oder Monaten. Belohnen Sie sich mit etwas, auf das Sie sich schon während der Aktivität freuen. Das kann beispielsweise die Apfelsaft-Schorle in Gesellschaft nach einem Training sein. Damit kommen wir auf den zweiten Punkt zu sprechen, den „social contract". Wenn Sie einer Gruppe angehören, die sich zum Training zu einem festen Termin verabredet hat, dann ist das gewissermaßen ein „Vertrag“, den Sie mit den anderen schließen. Das sind die beiden besten Motivatoren. Allerdings müssen der Aufwand und der Spaß in einem guten Verhältnis zueinanderstehen. Es gilt ein gesundes Verhältnis zwischen Aufwand und Spaß zu erreichen.

TT-DIGI: Inwiefern wirkt körperliche Aktivität der Fatigue entgegen?
Professor Schoenberg: Fatigue ist die typische Erschöpfung nach einer Krebsbehandlung. Gemäß einer holländischen Studie glaubten Ärzte, dass es der Schmerz wäre, der die Lebensqualität der Patienten beeinträchtige – aber noch viel mehr ist es das Gefühl der Erschöpfung, sagen Patienten. Fatigue beeinträchtigt die Lebensqualität enorm. Man dachte, Fatigue wäre medikamentös zu behandeln. Nein! Das Einzige, was sinnvoll hilft, ist Bewegung. Der Therapeut sollte den Patienten in kleinen Schritten in die Bewegung bringen, dann darauf aufbauen in kleinen Häppchen, Tiny Habits, und schrittweise steigern. Gerade „Kleinigkeiten“ sind anfangs zielführend, so können Patienten das Gleichgewicht zum Beispiel mit dem Theraband trainieren und damit auch muskelaufbauende Übungen durchführen.
TT-DIGI: Tiny Habits, kleine Gewohnheiten – wie bringe ich den Krebspatienten dazu?
Professor Schoenberg: Es gibt drei Möglichkeiten. Die Manipulation ist die schlechteste davon. Dann gibt es den Paternalismus, d.h. man ordnet etwas an, und schließlich Nudging. Das ist das Anstupsen, Anstoßen, ohne jemanden zu etwas zu zwingen. Dann überlasse ich dem Patienten
die freie Entscheidung. Das setzt voraus, dass ich glaubwürdig bin und den Menschen in seiner Individualität berücksichtige. Es motiviert Menschen, das Richtige zu tun, und dafür gibt es auch entsprechende Techniken in der Verhaltensökonomie. Kurz gesagt: Die Überzeugungsarbeit ist die Basis, vor jedem Training, das der Patient individuell mit seinem Therapeuten oder Trainer entscheidet und abstimmt.

TT-DIGI: Vielen Dank für das Gespräch.

Reinhild Karasek


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