Therapie
13.05.2024
Sensorik vor Motorik
Sensorische Elemente zur Optimierung von Training und Therapie
In Training und Therapie liegt der Fokus häufig auf der Bewegung an sich, beispielsweise bei einer sauberen oder schmerzfreien Kniebeuge oder einem Sprint. Hierzu werden spezielle Übungen gegeben und Behandlungspläne geschrieben. Ein oft vernachlässigter Aspekt bei der Bewegungssteuerung ist die Komponente der Sensorik, findet unser Autor Andreas Könings.
Nur was ich gut fühle, kann ich auch gut bewegen. Die sensorische Integration in Training und Therapie spielt daher eine Schlüsselrolle sowohl für die Optimierung der menschlichen Bewegung und Leistungsfähigkeit als auch für die Reduktion des Verletzungsrisikos und die Erhöhung der allgemeinen Bewegungsqualität. Sensorische Informationen werden über verschiedenen Rezeptoren aufgenommen und an das Gehirn weitergeleitet. Sie sind essenziell, um motorische Aktivitäten – also Bewegungen – zu steuern und zu koordinieren.
Der Weg der Informationen
Die eingehenden Informationen treffen zuerst auf den somato - sensorischen Kortex, der ein Teil des Parietal lappen ist. Er stellt die Hauptschnittstelle für sensorische Daten dar und ermöglicht es uns Berührungen und Druck zu empfinden. Erst danach gelangen die Informationen auf den motorischen Kortex, der Teil des Frontallappens ist. Beide Bereiche liegen direkt aneinander. Die sensorischen Komponenten liegen in aufsteigender (afferenter) Richtung vor den motorischen Bereichen. Einfach ausgedrückt bedeutet dies: Sensorik kommt stets vor Motorik.
Um eine Bewegung nun optimal auszuführen, sei es ein Sprint oder das Erreichen nach einem Gegenstand, ist das Gehirn auf gute sensorische Informationen angewiesen. Die Qualität der Bewegung hängt somit maßgeblich davon ab, wie genau und effizient diese sensorischen Daten aufgenommen und interpretiert werden.
Praktische Umsetzung
Über Berührung werden Rezeptoren in der Haut stimuliert. Hierbei unterscheiden sich sanfte Berührung, die über Mechanorezeptoren und freie Nervenenden aufgenommen werden von Druck. Druck, wie zum Beispiel durch Faszienrollen, aktiviert spezielle Barorezeptoren in der Haut, die den Druck messen.
Dies ist unter anderem ein Grund, warum das Training mit Faszienrollen den motorischen Output verbessern kann. Wichtig hierbei ist, dass der Druck nicht zu stark sein sollte. Viel hilft nicht immer viel. Im Gegenteil. Ist der Druck zu fest, werden Nozi - zeptoren aktiviert und dies kann sogar zu einer Verschlechterung der Motorik führen. Um nun Bewegung sensorisch vorzubereiten, eignet sich ein sensorisches Warm-Up. Das Ziel dieses Warm-Ups ist es, den Körper durch sensorische Stimulationsübungen auf die motorischen Anforderungen vorzubereiten.
1. Gesichtsstimulation
Schließen Sie die Augen und reiben Sie sanft mit den Fingern darüber. Reiben Sie anschließend mit beiden Händen über das Gesicht, als ob Sie sich waschen würden. Das Gesicht hat eine hohe Dichte an Nerven - enden und ist ein bedeutender Inputgeber für Ihr Gehirn.
2. Taktile Stimulation der Arme
Streichen Sie mit einer Hand nacheinander jeden Ihrer Arme von der Schulter bis zu den Fingerspitzen. Bewegen Sie Ihre Hände an der Außenseite Ihrer Arme nach unten und an der Innenseite wieder nach oben.
3. Bauchmassage
Legen Sie eine Handfläche auf Ihren Bauch, und führen Sie kreisende Bewegungen im Uhrzeigersinn aus.
4. Lendenwirbelsäulen-Massage
Platzieren Sie beide Fäuste neben der Wirbelsäule in der Region der Lendenwirbelsäule. Massieren Sie mit leichtem Druck und kleinen kreisenden Bewegungen den unteren Rücken
5. Stimulation der Beine
Platzieren Sie beiden Händen am Hüftbeuger und reiben Sie entlang der Vorderseite Ihrer Beine von der Hüfte bis zu den Knöcheln nach unten und an der Rückseite wieder hoch.
Jede Übung kann für 30 – 60 Sekunden durchgeführt werden. Ein leichter Druck reicht aus, um die sensorischen Systeme zu wecken, ohne sie zu überreizen. Die Übungen können als Teil des Aufwärmprogramms oder als eigenständige Routine, zum Beispiel am Morgen nach dem Aufstehen durchgeführt werden, um die sensorische Wahrnehmung und motorische Reaktionsfähigkeit zu verbessern.
Besonderes Augenmerk auf Narben in der Therapie
Auch nach Verletzungen oder Operationen kommt der sensorischen Aufarbeitung bzw. Aktivierung eine besondere Rolle zu. Jede Verletzung oder auch Operation geht immer mit einer sensorischen Einschränkung einher. Hiervon sind insbesondere Narben betroffen. Dies kann sich entweder in einer Hypersensibilität oder auch in einer Hyposensibilität äußern. Häufig ist letzteres der Fall, wobei beides zu Einschränkungen in der Bewegungsausführung und auch Bewegungsqualität führen kann, da das Gehirn für die Erzeugung von Bewegung immer auch auf sensorische Informationen zurück.
Durch die Verletzung einer Struktur, welche der Narbenbildung voraus ging, werden auch immer Nervenbahnen in Mitleidenschaft gezogen oder sogar komplett zerstört. Dies führt zu einer Veränderung der sensorischen Sensibilität. Es werden fehlerhafte Signale an das Gehirn weitergeleitet oder im Extremfall fehlen sogar jegliche Signale aus diesem Bereich. Narben kann man sich wie blinde sensorische Flecken am Körper vorstellen. Insbesondere in der Therapie sollte daher ein besonderes Augenmerk auf Narben gelegt werden und diese bei Bedarf sensorisch aufgearbeitet, um die Motorik zu verbessern.
Fazit: Sensorik als vielversprechender Ansatz
Diese Zusammenhänge unterstreichen, wie essentiell es ist, sensorische Informationen in das Training und die Rehabilitation zu integrieren. Die sensorische Aktivierung bietet einen vielversprechenden Ansatz, um nicht nur die Leistung zu steigern, sondern auch um die Wiederherstellung von Funktionen nach Verletzungen zu unterstützen und langfristig die Bewegungsqualität zu sichern.
Andreas Könings
Bild:©shutterstock.com_735934948
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