Digitalisierung
10.11.2025
Roboter als Reha-Partner?
©
Wie KI und Robotik heute Therapie und Reha transformieren
Sie stand auf. Zum ersten Mal nach 16 Jahren im Rollstuhl. Charlotte Fairbank, professionelle Rollstuhltennisspielerin, machte auf der AI for Good Konferenz der Vereinten Nationen in Genf diesen für sie gigantischen Schritt. Dann noch einen. Wir beide und die anderen Journalisten dieser speziellen Pressekonferenz hielten den Atem an. Das KI-gesteuerte Exoskelett erkannte das anvisierte Ziel der Paralympionikin und setzte sich entsprechend in Bewegung.
Willkommen in einer Ära, in der Roboter zu Reha-Partnern werden und die Grenzen zwischen Therapie und Training zunehmend verschwimmen – mit enormen Chancen für innovative Studio-Betreiber. Was wir in diesem emotionalen Moment von Charlotte Fairbanks Demonstration beobachten konnten, war mehr als ein Technologie-Showeffekt: Es war ein Ausblick in die Reha-Zukunft.
Dieses Exoskelett wurde von einem französischen Start-up entwickelt, dessen Name gleichzeitig Programm ist: Wandercraft. Der futuristische Apparat ist selbstbalancierend, nutzt Motion-Sensoren zur Erkennung von Bewegungsabsichten und ermöglicht Menschen mit schweren Mobilitätseinschränkungen einen natürlichen Gang. "Das Endziel war immer, ein Gerät zu entwickeln, das Menschen mit nach Hause nehmen können, um es in ihrer privaten Umgebung oder auf der Straße zu nutzen, und um mit Freunden in den Park zu gehen", betont Wandercraft-Gründer Nicolas Simon.
Auf der REHACARE 2025 wurden vier Exoskelett-Systeme vorgestellt, die alle in Reha und beim Training von eingeschränkter Muskelkraft zum Einsatz kommen. Vielversprechend sind aber auch Produkte, die bei Arbeiten in den härtesten Jobs unterstützen. Etwa in der Industrie oder in der Pflege von Patienten, wo schwere Lasten zu bewegen sind. German Bionic Systems aus Augsburg beansprucht für sich, das weltweit leistungsstärkste Exoskelett zu erzeugen, das KI-optimiert ist. Im gleichen Segment ist auch Ottobock tätig und bietet etwa mit der Serie SUITX Lösungen für unterschiedliche Muskelgruppen an, teils gekoppelt an eine App, die entsprechende Bewegungsdaten auswertet.
Eine relevante Nachricht kommt nun aus den USA. Seit 2024 übernimmt Medicare erstmals 80% der Kosten für persönliche Exoskelette, wodurch viele Amerikaner mit Rückenmarksverletzungen plötzlich Zugang zu dieser Technologie bekommen. Es ist vermutlich eine Frage der Zeit, bis Europa diesem Beispiel folgt. Für Studios liegt hier eine besondere Chance: Patienten verlassen die Reha meist mit einem klaren Wunsch – sie wollen weitermachen. Doch klassische Physiotherapie endet oft an diesem Punkt, und reguläre Studios sind häufig noch nicht auf diese spezielle Zielgruppe vorbereitet. Hier entsteht ein neuer Markt für Praxen, Gesundheitszentren und Studios, die bereit sind, diese Lücke zu schließen.
Die bionische Hand, die denken kann
"Die Muskeln, mit denen ich meine bionische Hand steuere, die sind gar nicht in der Hand." Als wir Tilly Lockey auf der diesjährigen AI for Good Pressekonferenz in Genf treffen, hebt sie ihren Arm. Doch dort, wo andere eine Hand hätten, glänzt futuristisches Schwarz mit individuellen LED-Features. Die 19-jährige Britin verlor mit 15 Monaten beide Unterarme in der Folge einer Meningitis und ist heute eine der bekanntesten Botschafterinnen für bionische Prothesen weltweit. Bei der Pressekonferenz zum Thema "Beyond human: AI and Superhumanity. " demonstrierte sie die neueste Generation des Hero Arms von Open Bionics.
Im Interview erklärt sie uns: "Als Amputierte habe ich immer noch diese Muskelbewegungen. Die Sensoren im Hero Arm erkennen die elektrischen Signale und übersetzen sie in Handbewegungen." Die neueste Generation arbeitet komplett kabellos mit sogenannten Myo-Pods – drahtlosen Sensoren, die überall am Körper platziert werden können. Der Hero Arm bietet 30 verschiedene Griffmodi, vom Präzisionsgriff für Münzen bis zum Kraftgriff für Hantelscheiben. Was Tilly besonders schätzt: Die Prothesen sind individuell gestaltbar und sie kann die Farbe wechseln, von glitzerndem Pink bis zu futuristischem Chrom. "Jahrelang bekam ich kosmetische Handschuhe mit der Botschaft: Pass dich an. Sei unauffällig. Heute ist meine Prothese wie eine kleine Garderobe. Sie ist ein Statement, und ich kann stolz sein auf diesen Unterschied."
Auch der deutsche Weltmarktführer Ottobock hat die Zeichen der Zeit erkannt und setzt auf künstliche Intelligenz. Das Myo Plus-System nutzt Mustererkennung, um Bewegungsabsichten automatisch zu interpretieren. Früher mussten Prothesenträger komplizierte Muskelkombinationen lernen, heute analysiert die KI die Signale und erkennt: Der Träger will eine Tasse greifen oder eine Treppe bewältigen. Das C-Leg 4, eine Beinprothese mit Microprozessor-Steuerung, passt sich in Echtzeit an und lernt in Zusammenarbeit mit Microsoft Azure AI.
Der Prothetik-Markt wächst weltweit, angetrieben von neuen, KI-optimierten Funktionalitäten. "Viele Menschen mit Prothesen wollen Sport treiben", erzählt uns Tilly im Gespräch, "aber die meisten Studios wissen nicht, wie sie mit uns umgehen sollen." Eine Lücke im Markt – und eine Chance für Gesundheitsanbieter, die bereit sind, sich weiterzubilden und eine wachsende Zielgruppe zu erreichen.
Der Mann, der mit Gedanken Formel 1 fährt
Keine Hände am Lenkrad. Keine Füße auf den Pedalen. Nur ein Helm. Und Gedanken. Die Demonstration von Dr. Rodrigo Hübner Mendes, die wir ebenfalls auf der AI for Good Konferenz erleben durften, war spektakulär. Der Brasilianer ist seit einem Überfall auf ihn vor 30 Jahren querschnittgelähmt. Doch nun steuerte er einen Formel-1-Wagen allein durch seine Gedanken, wobei das Brain-Computer Interface (BCI) neuronale Signale in Lenk- und Beschleunigungsbefehle übersetzt. (Video auf : https://www.youtube.com/watch?v=NhmXaeaHkDc ). Lewis Hamilton hat bereits zugesagt, eines Tages mit der gleichen Brain-Technologie gegen ihn anzutreten. Doch BCIs sind mehr als Show – sie sind eine stille Revolution in der Rehabilitation.
Die Konferenz brachte führende Experten zusammen: Prof. Dr. Leslie Saxon von der University of South California, die an real-time wearable Diagnostics forscht; die paralympische Goldmedaillengewinnerin Charlotte Henshaw, die sich für individualisierte KI-Prothesen stark macht; und Prof. Dr. Olivier Oullier, CEO von Inclusive Brains, der multimodale KI-Agenten für Brain-Computer Interfaces entwickelt. Alle drei arbeiten an Lösungen, die nach Science-Fiction klingen, doch bereits heute im Einsatz sind.
Auch Prof. Dr. Surjo Soekadar von der Charité Berlin ist einer der Pioniere der BCI-gestützten Rehabilitation. Seine Forschung zeigt: Schlaganfallpatienten können mithilfe von BCIs gelähmte Gliedmaßen wieder einsetzen. "Das Gehirn sendet die Signale, auch wenn die Muskeln nicht reagieren. Das BCI erkennt diese Signale und aktiviert Exoskelette oder Elektrostimulation. Die gewünschte Bewegung wird ausgeführt, und das Gehirn bekommt Feedback. So entstehen neue neuronale Verbindungen." Auch das Fraunhofer-Institut in Stuttgart, das Max-Planck-Institut in Leipzig und das Berliner BBCI forschen intensiv an dieser Technologie. Der Cybathlon – ein internationaler Wettkampf für Menschen mit Behinderungen, die assistive Technologien nutzen – zeigt die Machbarkeit eindrucksvoll, wenn Teilnehmer allein durch Gedankenkraft virtuelle Avatare und verschiedenste Apparate steuern.
Bereits eine Meta-Analyse von 2018 brachte Klarheit: BCI-gestützte Reha funktioniert besser als konventionelle Physiotherapie. Das Freiburger Unternehmen CorTec entwickelt implantierbare BCIs mit bidirektionaler Kommunikation, bei denen das Gehirn sowohl sendet als auch empfängt. 2024 erhielt CorTec die CE-Kennzeichnung – ein wichtiger Meilenstein für die klinische Anwendung. Während BCIs heute primär therapeutisch genutzt werden, forschen bereits erste Projekte an Anwendungen für mentales Training und für die Optimierung der Muskelaktivierung durch Gedankenkraft. Was jetzt noch im Labor entwickelt wird, könnte in einigen Jahren praktische Anwendung finden.
Robotik-Systeme in der Rehabilitation
Während Exoskelette häufig Schlagzeilen machen, arbeiten andere robotische Systeme erfolgreich in Reha-Zentren weltweit. Die Schweizer Spezialisten von Hocoma haben mit dem LokomatPro ein System geschaffen, das über 1.000-mal weltweit installiert ist. Patienten werden in ein Laufband-Exoskelett geschnallt, das System führt die Beine, und durch Augmented Performance Feedback sehen Patienten spielerisch ihre Fortschritte. Was hier funktioniert: Gamification trifft Rehabilitation. Mehrere hundert Studien belegen die Wirksamkeit dieser Methode.
Aber auch Angebote wie der THERA-Trainer aus Hochdorf bei Stuttgart oder Tyromotion aus Österreich beweisen einen klaren Trend. Die neuen Systeme werden zunehmend kleiner, modularer und erschwinglicher.
Der demografische Wandel als Chance
Bis 2030 wird jeder dritte Deutsche über 60 Jahre alt sein. Der deutsche Fitnessmarkt umfasst zwar bereits rund 5,8 Milliarden Euro, doch das stärkste Wachstum findet im Medical-Fitness-Segment statt. Konkret bedeutet das: Rehasport nach §20 SGB V wird von Krankenkassen finanziert, über 1,4 Millionen Verordnungen werden jährlich ausgestellt, und Fitnessstudios können sich als Anbieter zertifizieren lassen. Präventionskurse können bis zu 500 Euro Zuschuss pro Teilnehmer bringen – ein interessantes Geschäftsmodell für Studios, die den Schritt in Richtung Medical Fitness wagen möchten. Die Ansätze sind vielfältig: Einige Studios setzen auf Kooperationen mit Rehazentren, andere entwickeln eigene Medical-Fitness-Bereiche, wieder andere wählen Hybrid-Modelle, die Physiotherapie und Training verbinden. Erfolgreiche Konzepte zeichnen sich häufig durch kleine Gruppen, individuelle Betreuung und enge Netzwerke zu Ärzten und Therapeuten aus. Technologie erweitert zwar menschliche Fähigkeiten, ersetzt sie aber nicht. Exoskelette, Prothesen und BCIs sind Werkzeuge – mächtige Werkzeuge, die jedoch immer Menschen brauchen, um ihr volles Potenzial zu entfalten.
Die Verschmelzung von Rehabilitation und Fitness ist keine ferne Zukunftsvision mehr – sie geschieht bereits heute. Menschen leben länger und wollen länger aktiv bleiben, die Nachfrage nach qualifizierten Angeboten wächst stetig, die Technologie entwickelt sich rasant weiter, und die regulatorischen Rahmenbedingungen werden zunehmend günstiger. So haben Studios haben die günstige Chance, zu Partnern im gesamten Spektrum von Prävention über Rehabilitation bis zur Gesunderhaltung zu werden. Charlotte Fairbank sagte nach ihrer Demonstration in Genf: "Dies ist der große Moment für Millionen Menschen weltweit." Und auch für innovative Studios.
Die Autoren
Christoph Santner und Christine Papadopoulos sind KI-Experten, Autoren und Consultants mit ihrer Firma Summit Media GmbH in Gstaad, Schweiz. Einer ihrer Schwerpunkte ist das Thema KI, Well-Being & Longevity. Sie besuchen regelmäßig führende KI-Konferenzen, um über die neuesten Entwicklungen an der Schnittstelle von KI und Gesundheit zu berichten. Anfangs 2026 erscheint ihr neues Buch im Goldmann Verlag: KIQ - der Künstliche Intelligenz Quotient. Warum er unseren persönlichen und beruflichen Erfolg bestimmt und wie wir ihn steigern können.
Kontakt: christoph@summitmedia.ch | www.allesKI.com
Weiterführende Links:
- https://aiforgood.itu.int/revolutionizing-mobility-with-advanced-ai-powered-exoskeletons/
- https://en.wandercraft.eu/
- https://www.germanbionic.com/de/
- https://aiforgood.itu.int/
- https://www.germanbionic.com/
- https://www.ottobock.com/
- https://www.suitx.com/de
- https://openbionics.com/
- https://www.hocoma.com/
- https://thera-trainer.com/de/
- https://tyromotion.com/
- https://cybathlon.ethz.ch/
- https://www.cortec-neuro.com/
- https://brainsimulation.charite.de/
‹ Zurück
Marketing & Management
19.05.2025
Was ältere Trainer den Jüngeren voraushaben
17.06.2024
Wertschätzung, Flexibilität & Atmosphäre – die Schlüssel zur Mitarbeiterbindung?
16.02.2024
Erfolgreiche Neukundengewinnung
Das Arthrose Projekt von myline
23.01.2024
Hilfe bei der Unternehmensverwaltung
Launch-Termin für das UnternehmensNavi





