Therapie

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08.04.2021

Pilates

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Online-Kurse zur Kundenbindung

Das Bewegungsprogramm von Joseph Pilates, das Anfang des 20. Jahrhunderts von ihm entwickelt wurde, hat mittlerweile als Pilates seinen Siegeszug um die Welt erlebt – und mit der Pandemie ergaben sich wieder neue Angebotsmodelle.

Zuerst von Balletttänzern vor allem in der Rehabilitation angewandt, kräftigen heutzutage Menschen jeglicher Altersgruppe mit der Pilates-Methode ihre Muskeln. Zu Lebzeiten – Joseph Pilates starb 1967 in New York – feierte er mit seinem Trainingsprogramm noch keine Welt-Erfolge. Erst Ende der 1990er-Jahre, gepusht durch Stars wie Madonna oder Oprah Winfrey, zogen die Übungen rund um das „Powerhouse“ in Studios und letztlich auch als Kurse im Selbstzahlerbereich in die Angebotspalette von Physiotherapie-Praxen.

Pilates-Kurse als Ganzkörpertraining gehören mittlerweile fast schon zum Standard-Angebot vieler Gesundheitseinrichtungen. Wie die Kurse in einer Physiotherapie-Praxis angeboten und angenommen werden, hat TT-DIGI exemplarisch im Körperwerk in Freiburg nachgefragt. Unsere Fragen beantworteten: Elisa Ebner, Physiotherapeutin und Pilatestrainerin, Mira Danzeisen, Physiotherapeutin, M.A. Gesundheitsmanagement, und Inhaber Armin Brucker, Physiotherapeut/OMT.

TT-DIGI: Können Sie uns erklären, weshalb Pilates so sehr nachgefragt wird und so beliebt ist?

Elisa Ebner: Zunächst spricht Pilates als Ganzkörpertraining eine große Zielgruppe vom Anfänger bis zum Sportler an. Wegen der Verbindung von Bewegung und Atmung sowie der langsamen präzisen Ausführung hat ein Pilatestraining auch eine entschleunigende, fast mentale Wirkung. Ich denke, dass vor allem dieser Aspekt der Ruhe und Konzentration das Training so besonders macht und es deshalb so beliebt ist.

TT-DIGI: Welche Eigenschaft des Pilatestrainings schätzen Sie am meisten?

Elisa Ebner: Die Schulung der Wahrnehmung für den eigenen Körper. Durch die Prinzipien im Pilates – Atmung, Konzentration, Kontrolle, Zentrierung und Präzision – liegt der Fokus der Trainierenden bewusst im eigenen Körper. Das An- und Entspannen der Muskulatur in verschiedenen Positionen schult die Körperwahrnehmung, ganz besonders in den Bereichen LWS/Becken/Hüfte. Im Praxisalltag fällt oft auf, dass viele Patienten mit Problemen in diesen Regionen nicht wissen, welche Bewegungsvariationen hier überhaupt möglich sind. Zudem haben sie hier oft eine verminderte Kontrolle über ihre Muskulatur und Pilates kann helfen, die Wahrnehmung dafür zu verbessern.

TT-DIGI: Für welche Zielgruppen eignet sich das Pilates-Training?

Elisa Ebner: Pilates eignet sich ganz besonders für Menschen mit Rückenbeschwerden oder mit Beckenbodenbeschwerden, beispielsweise für Frauen in und nach der Schwangerschaft. Frauen – aber vor allem auch Männer – profitieren davon postoperativ im Urogenitalbereich. Zudem ist Pilates gut für Menschen in der Reha-Phase nach einer akuten Verletzung oder Erkrankung. Das betrifft also eher den therapeutischen Bereich. Das Ganzkörpertraining kommt gesundheitsfördernd ganz allgemein Menschen zugute, die ihre Körperhaltung verbessern möchten und die stressgeplagt sind.

TT-DIGI: Und welche Zielgruppe spricht am meisten darauf an?

Elisa Ebner: Besonders bei Sportanfängern oder Wiedereinsteiger sind die Kurse außerordentlich beliebt. Ich beobachte auch, dass zunehmend Frauen in oder nach der Schwangerschaft Interesse an den Kursen zeigen. Die Angebote in dieser Zielgruppe sind begrenzt und – vor allem in der Schwangerschaft – mit Unsicherheiten belegt, die Nachfrage aber sehr groß.

TT-DIGI: Unter welchen Voraussetzungen kann Pilates als Präventionskurs, gefördert von den Krankenkassen, in Gesundheitseinrichtungen angeboten werden?

Mira Danzeisen: Um von den gesetzlichen Krankenkassen als Präventionsleistung anerkannt zu werden, muss das entsprechende Kurskonzept von der Zentrale Prüfstelle Prävention zertifiziert werden. Für eine solche Zertifizierung müssen Dokumente zur Qualifikation der Kursleiter sowie die Stundenbilder und Materialien zum Kurs gemäß dem Leitfaden Prävention zur Prüfung eingereicht werden. Die Anforderungen an die Kursleiter sind dabei nicht ganz ohne: Es muss eine Grundqualifikation, ein staatlich anerkannter, bewegungsbezogener Berufs- oder Studienabschluss, und zusätzlich eine entsprechende Zusatzqualifikation nachgewiesen werden. In diesem Fall ist das eine Weiterbildung im Pilates-Konzept mit mindestens 100 Unterrichtseinheiten.

TT-DIGI: Lohnt sich das Angebot auch unternehmerisch für Gesundheitseinrichtungen, also für Praxen und Studios?

Armin Brucker: Das Pilates-Konzept ist schon seit vielen Jahren ein beliebtes Kurskonzept mit großer Nachfrage im Fitnessbereich. Als funktionelles Trainingskonzept mit Fokus auf Atmung und Stärkung der Körpermitte eignet es sich aber auch für viele Patienten zur Ergänzung der Physiotherapie oder als Präventionsleistung nach Abschluss der Therapie, wie zuvor Elisa Ebner ausführte. Unternehmerisch ist das Konzept damit hervorragend als Selbstzahlerangebot in einer Physiotherapie-Praxis geeignet. Gleichzeitig bietet ein Kursangebot auch für Mitarbeiter in der Physiotherapie eine willkommene Abwechslung zur Arbeit „an der Bank“.

TT-DIGI: Wie vermarkten Sie das Angebot?

Mira Danzeisen: Alle unsere Präventionskurse sind auf unserer Website und in den Datenbanken der gesetzlichen Krankenkassen gelistet. Außerdem machen wir unsere Patienten und Kunden vor Ort mit Flyern und Aufstellern in unseren Einrichtungen auf unser Angebot aufmerksam. Viele Patienten wissen nicht, dass ihre Krankenkasse sich an den Kosten für zertifizierte Präventionskurse beteiligt. Da macht es oft Sinn, im Rahmen der Therapie aufzuklären und einen passenden Kurs zu empfehlen. Je nach Standort und Zielgruppe kann es außerdem hilfreich sein, das eigene Kursangebot in lokalen Zeitungen oder mittels Flyer zu bewerben.

TT-DIGI: Wie sieht das jetzt aus, wenn die Einrichtungen geschlossen sind, die Kurse nur online möglich sind? Lohnt sich das auch weiterhin?

Armin Brucker: Im letzten Jahr hat sich gezeigt, dass einige Kunden noch nicht bereit sind, Geld für Online-Leistungen im Therapie- und Präventionsbereich auszugeben. Viele Angebote sind auf Plattformen wie YouTube oder Instagram weiterhin kostenlos abrufbar. Für Kunden ist es da oft schwer, vor Kursbeginn einen Mehrwert zu erkennen. Gleichzeitig ist ein Online-Kurs, der von der Kursleitung live über Video durchgeführt wird, natürlich genauso sein Geld wert wie ein Kurs, der vor Ort stattfindet. Das wissen vor allem langjährige Kursteilnehmer zu schätzen. Unser Online-Kursangebot ist zwar im Vergleich zu den Zeiten vor Corona deutlich kleiner, trotzdem wollen wir es auch bei geringerer Nachfrage weiterhin anbieten, da es uns ermöglicht, im Kontakt mit unsere Kunden zu bleiben.

TT-DIGI: Welchen großen Unterschied müssen Übungsleiter berücksichtigen, wenn von Präsenz-Kursen auf Online-Kurse umgestellt wird?

Elisa Ebner: Im Präsenz-Kurs zeige ich die Übung einmal vor (Demonstration), erkläre, was dabei wichtig ist (verbale Anleitung), und gehe dann reihum zu jedem Kursteilnehmer (taktile Unterstützung). Im Online-Kurs fällt die taktile Unterstützung ganz weg. Auch die Demonstration verliert wegen der Übertragung von Bildschirm zu Bildschirm stark an Qualität. Deshalb ist eine einfache, klare verbale Anleitung hier besonders wichtig. Das Wissen über typische Fehler bei der Ausführung der Übungen in den Präsenz-Kursen ist sehr hilfreich. 

TT-DIGI: Auf was sollte man als Anbieter Wert legen – online wie in Präsenz?

Elisa Ebner: Es ist wichtig, dass der Trainer über anatomische Kenntnisse, Wissen über Trainingsprinzipien und die Physiologie der Muskulatur verfügt. Eine entsprechende Ausbildung sollte Grundvoraussetzung sein. Optimal ist ein Trainer, der die Fähigkeit besitzt, einerseits auf die Interessen der Teilnehmer und andererseits auf die individuelle Gruppenzusammensetzung einzugehen.
Ich persönlich finde es weiter äußerst wichtig, den Teilnehmern den Leistungsdruck zu nehmen. Im Pilates geht es nicht darum, besonders viel in besonders kurzer Zeit zu leisten – Qualität steht vor Quantität.

Das Interview führte Reinhild Karasek.


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