
Ernährung & Gesundheit
23.12.2024
Mindfulness – achtsam leben

Ein Erfahrungsbericht mit Interview
Entspannungskurse werden immer beliebter als Ausgleich zum hektischen und stressigen Berufsalltag. Neben Ausdauer- und Krafttraining als physischer Ausgleich wird der mentale Ausgleich gesucht. Die Auswahl in Gesundheitseinrichtungen sowie in Studios ist mannigfaltig. Ein Kursabend gibt Einblick, was beispielsweise Mindfulness leisten kann.
Ich liege am Boden auf der Matte und soll erst einmal ganz ruhig da liegen. Den Atem laufen lassen, wie er läuft, auf nichts achten, einfach faul sein. Und das im Studio? Während Pilates mit einer explizit bewussten Atmung, mit der Aktivierung des Powerhouse und Yoga mit dem Halten von Asanas den Körper in die Dehnung bringt, bewege ich mich hier minimal. Hier, das ist die Trainingsstunde „Yin Yoga & Mindfulness“ von Ariane Reimer. Sie ist die Geschäftsführerin des mind body concept in München Schwabing.
Neben und vor mir haben weitere Männer und Frauen ihre Gliedmaßen auf Matten ausgestreckt, insgesamt sind wir 12. Damit ist der Raum auch locker gefüllt. Vor der grünen Stirnwand hat Ariane ihre Position. Mit sanfter und beruhigender Stimme gibt sie die Anleitungen, damit wir alle erst einmal herunterkommen. Wir verabschieden uns vom Alltag, indem wir ruhig atmen in unserem eigenen Atemrhythmus, wir lassen ab von unseren Gedanken und Gefühlen. Ich spüre meine Verspannungen in der Schulter, in der Hüfte und die Belastung der schweren Beine nach einem anstrengenden Arbeitstag.
Mit der Zeit merke ich, wie meine Muskeln sich entkrampfen und dann fangen wir langsam an, uns sehr behutsam in verschiedene Dehnungen zu begeben. Es geht nicht darum, eine Übung perfekt auszuführen, sondern seinen Körper erst einmal bewusst wahrzunehmen. Wir ziehen beispielsweise das rechte Knie zum Brustkorb und halten es für ein paar Augenblicke. Dann strecken wir den rechten Arm auf eine Linie mit der Schulter auf der Yogamatte aus. Das angezogene Knie soll ich nun mit der linken Hand ganz langsam über den Körper nach links und den Kopf nach rechts drehen. Diese Verwringung der Wirbelsäule, die meinen Körper in eine diagonale Streckung bringt, kenne ich aus dem Pilates, jedoch in einer anderen, schnelleren Taktung. Aber hier sind wir ja faul!
Eine weitere Übung aktiviert den Vagusnerv. Ariane erläutert, während wir auf der Matte liegen und den Nerv mit den Daumenbeeren leicht massieren, weshalb dieser Nerv so wichtig ist, welche Auswirkungen die Aktivierung auf uns haben kann – so auf die Funktion vieler innerer Organe, wie zum Beispiel den Darm. Eine andere Übung besteht darin, beide Beine im Winkel von 90 Grad abzulegen, das rechte Bein vor mir, das linke Bein seitlich davon. Ein prall gefülltes Halbmondkissen dient dem rechten Knie als Unterlage und ich strecke meinen Oberkörper seitlich über das rechte Knie und lege meinen Kopf auf einen hochkant vor dem Knie stehenden Yoga-Block ab. Ariane spricht in diesem Moment von Vertrauen und Loslassen. Das berührt mich überraschenderweise sehr emotional. Ich nehme auf einmal wahr, wie ich mich öffne, mich mental frei fühle, als würde ich fliegen, und auch mein Körper immer weicher und lockerer wird. Ich kann es gar nicht bewusst steuern. Da wird mir bewusst: Das ist die totale Entspannung. Am Ende gehe ich leichtfüßig, physisch und psychisch entspannt nach Hause.
Was ist nun aber das andere an Mindfulness?
Ariane erklärt es mir im Gespräch:
Seit wann bietest du diese Kurse an?
Wir haben unser Studio im September vor einem Jahr eröffnet und seitdem biete ich Kurse an, in denen ich verschiedene Entspannungstechniken miteinander kombiniere und unterrichte. Reines Mindfulness-Training praktiziere und lehre ich bereits seit mehreren Jahren, ganz unabhängig von der Yogamatte. Mir ist bewusst geworden, dass die Wirkung sich potenziert, wenn ich meine Teilnehmenden nicht nur mental (Mindfulness ist vor allem ein mentales Training), sondern auch körperlich entspannen und üben lasse.
Welche Entwicklung lässt sich nach ein paar Stunden feststellen?
Hier können wir zwischen kurzfristigen und langfristigen Erfolgen und Wirkungen unterscheiden. Kurzfristig verändern sich körperliche Parameter wie der Herzrhythmus, die Atmung, die Verdauung, das Gefühl von Gelassenheit und mentaler Klarheit. Alles in uns entspannt und löst sich. Aus einem Gefühl von „fight or flight“ wird auf einmal „rest & digest“. Bereits nach einer Session fühlen wir uns also stärker mit uns selbst verbunden, sind achtsamer für unsere Gedanken und Bedürfnisse und fühlen mehr Frische sowie Entspannung.
Spannend sind die langfristigen Auswirkungen, die sich bei regelmäßigem Üben einstellen: Wir lernen, mit Konflikten und Stresssituationen gelassener und resilienter umzugehen, können uns länger konzentrieren und die Neuroplastizität unseres Gehirns so weit verändern, dass wir im hohen Alter weniger anfällig für Alzheimer und Co. werden.
Worauf muss ein Studio achten, wenn sie solche Kurse anbieten wollen?
Generell gilt: Achtsamkeit kann immer und überall geübt und angewandt werden. Ich kann im Bus, in der Schlange vor der Supermarkt-Kasse, während meines sportlichen Trainings und auch im reinen Entspannungskurs Achtsamkeit üben. Lenken wir den Fokus beispielsweise auf unsere Atmung oder die genaue Ausführung einer Übung, auf all das, was wir sehen, hören oder fühlen können, üben wir schon achtsam zu sein.
Wenn ich Mindfulness-Kurse organisiert anbieten möchte, dann sollte der Lehrende ausreichend ausgebildet und für mentale Gesundheit sensibilisiert sein. Es ist wichtig, eine Affinität zu Entspannungskursen, anderen Disziplinen wie Yoga oder Entspannungstechniken zu haben und natürlich regelmäßig selbst zu praktizieren. Mir persönlich ist eine warme und vor allem ruhige Atmosphäre besonders wichtig. Ich muss das Gefühl haben, in einem sicheren, ruhigen und nicht einsehbaren Raum zu sein, um mich entspannen und öffnen zu können. Es braucht einen warmen Untergrund und ausreichend Polster/Kissen und Decken, um meine Haltung ohne Anstrengung einnehmen zu können. Ein angenehmer Duft, eine ansprechende und nicht zu laute Musik und ein Augenkissen runden das Erlebnis ab.
Wie kann ein Studio dieses Angebot am besten in sein Programm integrieren?
Mindfulness kann ganz wunderbar als „aktive Pause“ – vor allem in Unternehmen – oder als reiner Entspannungskurs angeboten werden. Es sind 15 min während der Mittagspause als Energizer oder 60 min am Ende des Tages als Form der Entspannung möglich. Es hat sich durchaus bewährt, mit einer kleinen, geschlossenen Gruppe zu beginnen. Somit lernen die Teilnehmenden sich mit jeder Übungseinheit besser und persönlicher kennen und trauen sich mehr und mehr, Erlebtes zu teilen und dadurch von- und miteinander zu lernen. Wenn wir unseren Erfahrungen Worte geben, schenken wir ihnen einen guten Platz in uns. Und das macht etwas Gutes mit uns Menschen.
Hast du Tipps, Anregungen für Studiobesitzer?
Wir leben in einer Zeit, in der die mentale Gesundheit neben körperlicher Betätigung immer bedeutsamer wird. Wir Menschen brauchen Tools und Techniken, die uns dabei unterstützen, uns selbst schnell und effizient zu regulieren, d.h. zu entspannen und resilienter zu machen. Studiobesitzer sollten aus meiner Sicht auf ganzheitliche Angebote setzen und Kapazitäten für mentales sowie reines Entspannungstraining schaffen. Die Zeiten von „höher, schneller, weiter“ sind nicht vorbei, doch ohne „langsamer und bewusster“ werden wir dieses Tempo nicht mehr lange aufrecht halten können.
Danke für das Gespräch.
Erfahrungsbericht und Interview von Reinhild Karasek
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