Ernährung & Gesundheit

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27.03.2023

Mehr Power durch legale Pillen?

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Nahrungsergänzungsmittel: aktuelle Verbraucherzahlen und Evidenz im Sport

Sei es die Vitamintablette oder der Eiweißshake – insbesondere Sportler greifen gern zu Nahrungsergänzungsmitteln (NEM), um damit ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Aber kann ein Nutzen der in Supermärkten, Drogerien, Apotheken oder OnlineShops frei zugänglichen NEM auch nachgewiesen werden? Dr. Eduard Isenmann wirft einen Blick auf den Markt für Nahrungsergänzungsmittel und die Evidenz im Sport.

Wenn man sich die Umsatzzahlen für NEM betrachtet, sind diese in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Mit einem Umsatz von 24,4 Milliarden US-Dollar ist Europa die drittstärkste Region beim Konsum von NEM (Europe‘s-Nutritional-Supplements-Market, Market Review 2019).

Auch in Deutschland ist der Konsum von NEM seit 2014 gestiegen (IQVIA: Nahrungsergänzungsmittel aus der Apotheke 2019, 2020). Im Jahr 2018 lag der Umsatz von NEM allein in Apotheken bei ca. 2,2 Milliarden Euro (IQVIA: Trends bei Nahrungsergänzungsmitteln aus der Apotheke, 2019). Hierbei ist der Umsatz aus Drogerieund Supermärkten nicht mitberücksichtigt.

Definition NEM

Im Allgemeinen besitzen NEM ein positives Image und werden daher häufig mit einem gesunden Lebensstil assoziiert. Deshalb werden sie immer häufiger sowohl von der Allgemeinbevölkerung sowie von Sportlern konsumiert. Werfen wir zunächst einen Blick auf die Definition bzw. Abgrenzung gegenüber Arzneimitteln.

Laut Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BGVV) sind „Nahrungsergänzungsmittel, Lebensmittel, die ein oder mehrere Nährstoffe in konzentrierter Form (Tabletten, Pulver, Kapseln) aufweisen. Sie sollen tägliche Nahrung in den Fällen ergänzen, in denen eine Versorgung durch Nahrung unzureichend ist, bzw. eine Ergänzung erwünscht wird. Nahrungsergänzungsmittel sind in der Regel Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs. Sie unterliegen den Bestimmungen des Lebensmittels und Bedarfsgegenstandgesetzes (LMBG)“ (BGVV s.102).

Ein wichtiger Aspekt ist, dass NEM nicht mit Arzneimitteln verwechselt oder gleichgestellt werden sollten. Es gibt einen grundsätzlichen Unterschied zwischen NEM und Arzneimitteln. Arzneimittel sollen Krankheiten heilen oder Symptome lindern, NEM müssen keine nachweisliche Wirkung besitzen (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, BVL). Außerdem können die Mengenangaben auf der Verpackung von NEM bis zu 50% von der tatsächlichen Menge im Produkt abweichen (Arzneimittel

Steigende Nachfrage

Der Blick auf das Konsumverhalten von NEM ergibt ähnlich wie bei den Umsatzzahlen einen kontinuierlichen Anstieg. In den USA stieg der prozentuale Anteil der Bevölkerung, der NEM konsumiert, von 64% (2008) auf 76% (2017) an. Auch in Großbritannien ist ein ähnliches Konsumverhalten zu beobachten. Aktuell konsumieren 71,2 % der Befragten regelmäßig NEM, 47,6 % sogar täglich (Health Food Manufacturers‘ Association, 2020). Eine ähnliche Entwicklung und Beliebtheit von NEM kann in Deutschland beobachtet werden: etwa 71 % konsumieren gemäß einer Umfrage regelmäßig und über das ganze Jahr hinweg NEM (Bund-für-Lebensmittelrecht-und-Lebensmittelkunde 2015).

Corona veränderte Konsumverhalten

Die Motivation zur Einnahme von NEM kann dabei sehr vielfältig sein und reicht von allgemeiner Gesundheit und Wohlbefinden, als Gegenmaßnahme zu Defiziten oder zur Stärkung des Immunsystems, bis hin zur Leistungssteigerung, einem verbesserten Muskelwachstum und schnellerer Regeneration (Isenmann 2020). Neueste Befragungen konnten zudem zeigen, dass sich das Konsumverhalten durch die Corona-Pandemie auch in Deutschland verändert hat. Es konnte festgestellt werden, dass mit Beginn der Pandemie die Verwendung von NEM nochmals gestiegen ist. 22% der befragten Personen gaben an, mit Beginn der Pandemie mehr NEM zu konsumieren als zuvor (Stada Health Report 2021, o. D.).

NEM im Leistungssport

Ähnlich wie bei der Normalbevölkerung nehmen NEM auch bei Wettkampf- und Leistungssportlern eine immer wichtigere Rolle im Trainingsalltag ein. Diverse Untersuchungen aus verschiedeneren Ländern haben gezeigt, dass etwa drei Viertel der Athleten in den letzten Wochen und Monaten vor Wettkämpfen Nahrungsergänzungsmittel konsumieren (Braun et al., 2009; Lun et al., 2012; Erdmann et al., 2006; Wiens et al., 2014; Kim et al., 2011; Nieper et al., 2005; Slater et al., 2003; Tian et al., 2009).

Neben geschlechtsspezifischen Unterschieden bei der Wahl des Mittels lässt sich festhalten: Je höher das Leistungsniveau und die Anzahl der Trainingseinheiten pro Woche sind, desto häufiger werden NEM konsumiert (Knapik et al., 2016; Garthe & Maughan, 2018). Der gleiche Zusammenhang konnte auch bei Alter und Supplementation von NEM festgestellt werden: Je älter die Athleten waren, desto wahrscheinlicher war die Einnahme von NEM (Knapik et al., 2016; Garthe & Maughan, 2018).

Konsumverhalten im Studio

Im Vergleich zu olympischen Sportarten kann das Konsumverhalten bei Fitnessstudiobesuchern sogar noch höher ausfallen. Jedoch spielen hierbei verschiedene Faktoren wie das Mitglieder-Klientel, die sportliche Ausrichtung (gesundheitsorientiert, leistungsorientiert) oder die Region eine Rolle. Befragungen aus den USA, Italien und der Schweiz konnten zeigen, dass mehr als 80% der befragten Mitglieder regelmäßig NEM konsumieren (Morrison et al. 2004; Mazzali et al. 2021; Mettler et al. 2020).

Auch in Deutschland konnte ein ähnliches Konsumverhalten in Zusammenhang mit der Mitgliedschaft im Fitness-Studio beobachtet werden. im Allgemeinen kann das Konsumverhalten der Befragten als gering eingestuft werden (Isenmann, 2020). Dennoch gibt es einen deutlichen Zusammenhang zwischen Geschlecht, Mitgliedschaft im Fitnessstudio und einem erhöhten Konsumverhalten. Im Studio sind Männer, die viele NEM konsumieren, deutlich überrepräsentiert gegenüber jeden, die keine zu sich nehmen (Isenmann, 2020).

Evidenz nur teilweise vorhanden

Wenn man sich aber die wissenschaftliche Datenlage und Evidenz von NEM im sportlichen Kontext anschaut, ist diese nur für einzelne NEM vorhanden. Sowohl die Internationale Gesellschaft für Sporternährung (ISSN) als auch das internationale olympische Komitee (IOC) veröffentlichten in den letzten Jahren mehrere Positionspapiere zu den Wirkungen von NEM.

Die derzeitige Datenlage zeigt, dass für Proteinpräparate, Kreatin, Koffein, Beta Alanin, Bicarbonat, Nitrat, Kurkumin und die Sauerkirsche ein wissenschaftlich fundierter Effekt auf die Regenerationsfähigkeit bzw. Leistungsfähigkeit im sportlichen Kontext vorliegt (Maughan et al. 2018; Jäger et al. 2017; Aragon et al. 2018; Kreider et al. 2017; Grigic et al 2021). Jedoch sind alle diese Effekte als klein bis maximal moderat einzustufen, wodurch sie primär im (Hoch-)Leistungssport vermutlich nur einen weiteren positiven Effekt besitzen. Bei einem niedrigeren Leistungsniveau wird vermutlich die trainingsinduzierte Anpassung überschattet.

Kreatin zeigt Effekte

Das einzige NEM, welches außerdem noch einen sogenannten Health Claim besitzt, ist das Kreatin, sodass es auch im gesundheitlichen Kontext einen zusätzlichen positiven Effekt besitzt (EFSA No 1924/2006). Da NEM einer anderen Verordnung als Arzneimittel unterstehen, ist das Risiko einer Verunreinigung höher. Daher wird Athleten, die sich regelmäßig Dopingkontrollen unterziehen müssen, empfohlen, so lange wie möglich keine NEM zu konsumieren und falls sie welche konsumieren, diese regelmäßig zu überprüfen. Die Kölner Liste enthält alle legalen NEM.

Dr. Eduard Isenmann


Literatur

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Bund-für-Lebensmittelrecht-und-Lebensmittelkunde: Auf einen Blick – repräsentative Umfrage zu Nahrungsergänzungsmitteln. In: retrieved (02/05/20) from https://wwwiqviacom/-/media/iqvia/pdfs/cese/germany/publikationen/infografik/trends-bei-nahrungserganzungs-mitteln-aus-der-apothekepdf?la=de-
de&hash=A61DD0D65D6E275B756EA4ACBF7C76E1C2572E35&utm_medium=Email&utm_source=Presse&utm_campaign=Infografik-NEM-Apr2019. 2015.

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