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03.11.2023

Höchste Zeit für ein Umdenken

Höchste Zeit für ein Umdenken

Die Forschungslage zu Krafttraining für Jugendliche

Männliche Jugendliche strömen in Scharen in Fitness-Studios, um sich in so kurzer Zeit wie möglich ein breites Kreuz und muskulöse Oberarme anzutrainieren, angestachelt von fragwürdigen Vorbildern auf Social Media, nur auf schnell sichtbare Erfolge konzentriert und dabei ihre Gesundheit ruinierend – mit diesen Vorurteilen gilt es ein für alle Mal aufzuräumen. Krafttraining für Jugendliche ist verletzungsarm und fördert die Gesundheit. Wenn ein paar grundlegende Dinge berücksichtigt werden. Ein Faktenüberblick.

Die Sportwissenschaft ist sich einig: Krafttraining – also Training, bei dem zeitlich begrenzt eine Last überwunden werden muss, punktuelle, intensive Reize gesetzt werden und den Körper dazu anregen, Kraft oder Muskelmasse aufzubauen – stärkt die Knochen, stabilisiert den Körper, fördert auch die psychische Gesundheit und sorgt für eine langfristige Reduzierung von Krankheiten.

Kontrollierte Übungen, geringe Verletzungsgefahr

Krafttraining gilt als eine der verletzungsärmsten Sportarten, da die Übungen kontrolliert und bewusst ausgeführt werden und es zu keinem Gegnerkontakt kommt. Es sind Bewegungen, wie man sie im Alltag benutzt, für die die Muskeln und Gelenke ausgelegt sind. Dies gilt auch für das Krafttraining von Heranwachsenden. Mit den zusätzlichen Vorteilen, Übergewicht und daraus resultierenden Haltungsschwächen, Rückenschmerzen und muskulären Dysbalancen rechtzeitig entgegenwirken zu können.

Thema umfassend erforscht

Wissenschaftlich gesehen ist das ganze Thema erstaunlich umfassend erforscht, Forschungslücken gibt es keine. Prof. Dr. Michael Keiner, Dekan der Fakultät für Sportwissenschaften an der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport, listet die Vorteile auf: „Krafttraining im Kindes- und Jugendalter führt zu positiven Anpassungen der Muskulatur, des Zentralen Nervensystems, aber auch am passiven Bewegungsapparat, wie Knochen und Sehnen, was sich präventiv auswirkt. Einzelne Studien weisen zudem auf die Förderung der psychischen Gesundheit hin, wenngleich die Evidenzabsicherung für die physiologischen Anpassungen als höher einzustufen ist.“

Er weist auf die viel beachteten Ergebnisse der Arbeitsgruppe um Professor Avery Faigenbaum hin, an der auch Sportwissenschaftler Prof. Dr. Stephan Geisler, Vizepräsident für Forschung an der IST-Hochschule und Präsident der NSCA Deutschland, beteiligt war. Auch er sieht alle Vorteile dieser Trainingsart als wissenschaftlich fundiert an.

Wichtig: Professionelle Anleitung

Um die Vorteile des Krafttrainings für Jugendliche zu maximieren und mögliche Risiken zu minimieren, ist es allerdings entscheidend, dass das Training unter professioneller, individueller Anleitung durchgeführt wird. „Eine schlechte Qualität der Übungsausführung führt in einer oder mehreren Krafttrainingsübungen nicht zwangsläufig direkt zu einer Verletzung, ist jedoch als der Hauptgrund für im Laufe der Zeit zunehmende Beschwerden anzusehen“, resümiert Michael Keiner.

Erhöhte Anforderungen an Trainer

Fehler in der Ausführung fallen auch Yvo Makiolczyk auf, Sportökonom und als Sporttherapeut im Gesundheitszentrum Top-Life in Berghaupten tätig. Wobei er aber die Trainer*innen in der Pflicht sieht. „In vielen Studios ist das Trainingskonzept nicht für Jugendliche ausgelegt und die Trainer*innen sind nicht entsprechend ausgebildet. Heranwachsende erfordern mehr Feingefühl, man muss bei ihnen erst ein Bewusstsein für ihren Körper schaffen“, hält Makiolczyk fest.

Auch müsse man berücksichtigen, dass Jugendliche im Umgang mit Gewichten oft unbedarft oder zu energiegeladen seien, sodass man als Trainer*in immer eine individuelle Herangehensweise finden sollte. Dieses Problem sieht auch Professor Keiner: „Eine solche Kompetenz ist nicht in Wochenendschulungen zu dokumentieren. Zielführender erscheinen hier die Forderung nach studierten Trainer*innen, die sich auf das Training im Kindes- und Jugendbereich z.B. im Rahmen des Studiums spezialisiert haben und zudem ein hohes Maß an praktischer Erfahrung vorzuweisen haben.“

Betreuungsschlüssel entscheidend

Nicht selten scheitert ein professionelles Training in den Studios auch am Betreuungsschlüssel. Denn erschwerend kommt hinzu, dass die biologische Reife bei Jugendlichen stark schwankt. Auch wenn Michael Keiner es als international gesichert ansieht, dass die meisten Kinder ab sieben Jahren mit Krafttraining beginnen können, ist auch Konsens, dass man nicht ein Trainingskonzept für eine Altersstufe erstellen und dies auf alle Trainierenden übertragen kann. Auch deshalb wäre eine individuelle Betreuung notwendig.

Vorsicht bei Fitnessinfluencern

Ein Grund mehr, um von dezentralen Trainingsmethoden wie Videos im Internet abzuraten. Fitnessinfluencer seien nicht generell an den Pranger zu stellen, meint Yvo Makiolczyk, sie könnten durchaus zum Sport motivieren. „Aber alles, was fachlich wiedergegeben wird, würde ich grundsätzlich in Frage stellen. Nicht, weil es automatisch falsch sein muss, aber es fehlt der individuelle Bezug.“

Auch Stephan Geisler wird deutlich: „Wenn Influencer was verkaufen wollen, wenn sie monetär orientiert sind und den Jugendlichen das Geld aus der Tasche ziehen wollen, dann hört für mich der Spaß auf.“

Makiolczyk plädiert des Weiteren dafür, die Eltern mit ins Boot zu holen. Ein Bewusstsein der Eltern für die Wichtigkeit eines sauber ausgeführten Krafttrainings sorge dafür, dass sich deren Kinder unterstützt fühlen und dann auch offen ansprechen können, wenn sie sich beim Training nicht betreut genug fühlen. Die Gefahr eines Übertrainings bestehe nur dann, wenn Trainer nicht auf die Bedeutung von Ruhetagen hinweisen. Professor Keiner sieht die Sorge eines Übertrainings generell nicht gerechtfertigt: „Kinder und Jugendliche regenerieren grundsätzlich gut. Die Literatur empfiehlt, dass ein Krafttraining zwei bis drei Mal pro Woche, in kurzen Einheiten von etwa 30 Minuten, reicht.“

Mythos Schädigung der Wachstumsfuge

Kein Interpretationsspielraum bleibt beim Mythos, dass Krafttraining der Wachstumsfuge schaden würde. Geisler drückt es entsprechend deutlich aus: „Das Argument mit der Wachstumsfuge ist völlig aus der Luft gegriffen, es gibt keine einzige aussagekräftige Studie dazu. Das hat sich irgendwer ausgedacht und laut in die Welt geschrien.“ Ein weiteres Vorurteil, das ein für alle Mal widerlegt sein sollte, ist, dass Frauen kein Krafttraining absolvieren sollten. Laut Professor Keiner sollte die Herangehensweise geschlechtsunabhängig sein.

Auch Yvo Makiolczyk plädiert dafür, dass sich mehr junge Frauen an ein Krafttraining wagen. „Mir ist wissenschaftlich überhaupt nichts bekannt, was dagegenspricht. Im Gegenteil, beim Krafttraining geht es ja auch um ein besseres Selbstwertgefühl und das ist gerade bei jungen Frauen wichtig. Trainer*innen aller Sportarten sollten dringend dazu angehalten werden, Frauen fürs Krafttraining zu motivieren. Es wird Zeit und Arbeit brauchen, die Vorurteile aus den Köpfen der Gesellschaft rauszubekommen.“ Fangen wir also damit an.

Felicitas Rohrer

 

Bild: ©Shutterstock.com_2171396783


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