Therapie

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11.09.2023

Das fragilste Gelenk im Körper

Das fragilste Gelenk im Körper

Schulterverletzungen, Teil 1: Die Rotatorenmanschette

In einer neuen Serie widmet sich Kay Bartrow den häufigsten Verletzungen. Nach dem Blick auf die jeweiligen anatomischen Besonderheiten beschreibt er die Symptome. Abgerundet werden die Schwerpunkte mit Hinweisen auf Behandlungsmöglichkeiten und Übungen. Den Anfang machen Schulterverletzungen.

Das Schultergelenk stellt eine bewegliche Verbindung zwischen Schulterblatt und Oberarm her und ist in Alltag und Sport zum Teil hohen Belastungen ausgesetzt. Durch eine anatomische Besonderheit hat es auch eine kleine Neigung zu Verletzung und vielfältigen Überlastungsproblematiken.

Die anatomische Besonderheit

Das Schultergelenk hat eine kleine Gelenkpfanne und einen verhältnismäßig großen Gelenkkopf. Die Gelenkpfanne wird mit einem sogenannten Labrum (einer Knorpellippe) rundum verstärkt und vergrößert, sodass der Oberarmkopf auch bei allen Bewegungen und Belastungen Halt findet und stabil in der Pfanne gehalten werden kann.

Die muskuläre Antwort der Schulterregion

Dieses mechanische Missverhältnis wird durch eine straffe Gelenkkapsel und kräftige Muskeln, die rund um den Schulterkomplex angeordnet sind, ausgeglichen. Vor allem die muskuläre Führung sorgt für funktionellen Bewegungsfreiraum in allen Ebenen und für die nötige stabile Bewegungskontrolle. Die muskuläre Führung des Schultergelenks wird dabei durch das optimale Zusammenspiel der Muskeln aus der Nackenregion (M. trapezius, M. levator scapulae), aus der vorderen Halsregion (M. omohyoideus), durch die Muskeln des Oberarmes (M. bizeps brachii und M. trizeps brachii), aus der Schulter selbst (M. deltoideus) und natürlich durch die Rotatorenmanschette (M. subscapularis, M. supraspinatus, M. infraspinatus, M. teres minor) hergestellt und gesichert.

Es sind also nicht einzelne Muskeln oder eine einzige Muskelgruppe, die für Kraft, Beweglichkeit und Stabilität der Schulter verantwortlich sind, als vielmehr ein fein abgestimmter Synergismus aller beteiligter Muskeln. Alle Muskeln um das Schultergelenk müssen sich an der Lösung der erforderlichen Aufgaben beteiligen, um die Schultergesundheit sicherzustellen.

Die Rotatorenmanschette ist an ihren sehnigen Ansatzbereichen am Oberarmkopf häufig in Überlastungen und Traumatisierungen verwickelt.

Wie eine Rotatorenmanschettenverletzung entsteht

Häufige Verletzungsmechanismen sind Stürze auf den gestreckten Arm, ungewohnte und ruckartige Bewegungen mit Kraft wie z.B. eine Bettdecke ausschütteln oder ein schweres (gefülltes) Backblech schnell aus dem Ofen ziehen.

Auch extreme Belastungen bei Rückschlagsportarten wie Tennis, Squash oder Badminton oder bei Wurfsportarten (Speerwurf, Diskus etc.) sind durch die hohen mechanischen Zugkräfte potenziell gefährdend. Dabei kann es zu Zerrungen, Teilrissen (partielle Einrisse im sehnigen Bereich), oder auch zu kompletten Abrissen eines Muskels der Rotatorenmanschette kommen.

Selten reißt die gesamte Rotatorenmanschette. Häufig ist der M. supraspinatus oder der M. infraspinatus betroffen. Manchmal treten Verletzungen der Rotatorenmanschette auch als Begleitverletzungen bei Knochenbrüchen am Oberarm oder in Folge einer Schulterluxation auf.

Sind die Sehnen der Schulter durch immer wiederkehrende kleinere Verletzungen oder häufig bestehende entzündliche Prozesse vorgeschädigt, kann die Sehne bei stärkerer Belastung auch weiter ein- oder komplett abreißen. Bei einer vorgeschädigten Sehne genügen auch einfache, oft schnell und ruckartig durchgeführte Bewegungen wie z.B. das Ausschütteln eines schweren Federkissens, um eine größere Verletzung im Bindegewebe der Rotatorenmanschette zu verursachen. Dabei finden die Traumatisierungen an den sehnigen Strukturen, den faszialen Hüllen oder direkt im Muskelgewebe statt.

Rotatorenmanschettenverletzungen sind relativ häufig

Bei etwa 25% der 50-Jährigen und bereits bei 50% der 70-Jährigen finden sich Verletzungen in der Rotatorenmanschette. Dabei sind Veränderungen, kleine Einrisse oder Abrisse der Sehnen der Schultermuskeln anzutreffen. Bei diesen Gewebeschäden können variable Ausprägungen, je nach Größe der Verletzung, unterschieden werden. Wir unterscheiden eine Komplettruptur (dabei ist die gesamte Sehne eines Muskels durchtrennt) von einer Teilruptur (die Sehne ist nicht komplett durchtrennt – es bestehen noch faserige Verbindungen) und von einer Prellung oder Zerrung des bindegewebigen Sehnenbereiches.

Oft führen kleinere Verletzungen (Mikrotraumen) und schwächende Veränderungen, wie z.B. einseitiger Gebrauch und permanente Fehl- oder Überbelastung, im Laufe der Zeit zu einer gesteigerten Anfälligkeit der Sehnen. Diesen Zuständen kann mit einem gezielten Training der Schultermuskulatur entgegengewirkt werden.

Die gute Nachricht

Nicht jede Schulterverletzung, auch nicht jede Verletzung der Rotatorenmanschette, führt zu Symptomen. Neueren Studien zufolge stehen Veränderungen der Schulter und der Rotatorenmanschette nicht zwingend mit Symptomen wie Schmerz oder Bewegungseinschränkung in direkter Verbindung.

Wir können davon ausgehen, dass bei vielen Menschen einmal eine Verletzung der Rotatorenmanschette vorkommt, ohne dass die betroffenen Personen etwas davon merken. So konnte in Studien bei 60% der älteren Erwachsenen eine Schleimbeutelentzündung (Bursitis), bei 65% der untersuchten jüngeren Sportler eine Verletzung der Rotatorenmanschette und bei 88% bereits bindegewebige Veränderungen (Tendinosen) der Schulter festgestellt werden. Das Besondere daran: Die Untersuchungen wurden bei symptomfreien Personen durchgeführt.

Die typischen Symptome

Im akuten Zustand treten vor allem Schmerzen an der Außenseite oder an der Vorderseite des Oberarmes auf. Der Muskelbereich des M. supraspinatus, oberhalb der Schulterblattgräte am Schulterblatt, kann auch eine Einziehung (Muskeldelle) aufweisen und ist sehr häufig schmerzempfindlich bei direktem Druck. Zudem tritt in den ersten 3 – 7 Tagen auch eine akute Entzündung auf. Diese verursacht einen Temperaturanstieg im verletzten Gebiet und führt zu einer schmerzhaften Bewegungsstörung des Schultergelenkes.

Da meistens der Musculus supraspinatus betroffen ist, ist auch das Anheben des Armes und die Außenrotation des Schultergelenkes nur noch eingeschränkt oder nur mit Toleranz von Schmerzen möglich. Ein weiteres Symptom einer Rotatorenmanschettenverletzung kann ein Stabilitätsverlust sein, der ein unsicheres Bewegen des Armes zur Folge hat.

Typische Veränderungen bei einer Rotatorenmanschettenverletzung: ›

  • ›› Risse (komplett oder teilweise) im Muskel/ der Sehne/ einzelner Fasern
  • ››› Kapselschrumpfung
  • ››› Entzündung Häufige Folgen der Verletzung:
  • ››› Bewegungseinschränkung
  • ››› Schmerzen/ Kraftverlust
  • ››› Schulterhochstand

Medizinisch-therapeutisches Vorgehen

Je nach dem Grad der Verletzung: Zerrung, Prellung, Teilriss oder Komplettriss und je nach Ausmaß der bestehenden zusätzlichen Verletzungen, sind operative oder auch nicht-operative (konservative) Behandlungen möglich.

Konservative Therapie

Bei einem konservativen Vorgehen ist das primäre Ziel zunächst die Schmerzreduktion. Dazu muss eine Schwellungsresorbtion und Beweglichkeitserweiterung angestrebt werden. Zu viel Druck ist in unserem Körper die Schmerzursache Nr. 1. Hinzu kommen vor allem physiotherapeutische Behandlungsmaßnahmen und Techniken zum Einsatz. Um ein hohes Schmerzniveau zu reduzieren, können auch ärztliche Maßnahmen (Schmerzmittel, Kortison-Injektion etc.) angewandt werden.

Physiotherapeutische Maßnahmen:

  • ››› Schmerzreduktion durch mechanorezeptive, thermische Überlagerung (Kälte)
  • ››› Elektrostimulation
  • ››› Mobilisation von Gelenk, KapselBand-Apparat, Faszien, Nerven
  • ››› Kräftigung
  • ››› Stabilisation/ koordinative Optimierung

Im nächsten Teil der Serie geht es um das Impingement-Syndrom.

Kay Bartrow

Bild: ©Shutterstock.com_1919745623


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