Therapie

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18.01.2021

Bewegen – aber richtig!

Bewegen – aber richtig!

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Die Ruhr-Universität Bochum und der Gerätehersteller emotion fitness haben in Zusammenarbeit einem Bewegungstrainer

Die Ruhr-Universität Bochum und  der Gerätehersteller emotion fitness haben in Zusammenarbeit einen Bewegungstrainer zur Förderung der Implantateinheilung nach Hüftgelenksoperation entwickelt

Mit ca. 250.000 Implantationen pro Jahr zählt die Hüftgelenksendoprothetik (Hüft-TEP) zu den am häufigsten durchgeführten Operationen in Deutschland. Maßgeblich für den Erfolg ist die Mobilisierung des Patienten nach der OP, da das Einwachsen der Prothese erst durch mechanische Reize stimuliert wird. Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten am Lehrstuhl für Produktentwicklung der Ruhr-Universität Bochum und der kürzlich erfolgreich verteidigten Promotion von Maike Sauerhoff ist die Untersuchung der Auswirkungen des Fahrradergometer-Trainings auf die Biomechanik des Knochen-Implantat-Verbunds.
Vision ist die Entwicklung eines Bewegungstrainers, der erstmals die mechanobiologischen Regeln der Implantateinheilung gezielt adressiert und hierdurch Behandlungszeiten verkürzt, eine schnellere Mobilisierung des Patienten bewirkt und eine höhere Langzeitstabilität des Implantats gewährleistet. Gemeinsam mit der Firma emotion fitness aus Hochspeyer konnte die Vision verwirklicht werden.

Bewegung löst mechanische Reize aus
Das Einheilen zementfreier Hüftgelenksendoprothesen (Hüft-TEP) findet durch primäre (Kontaktosteogenese) und sekundäre Knochenbildungsprozesse (Distanzosteogenese) statt. Beide Prozesse werden durch mechanische Reize stimuliert, die zu einer schrittweisen Verdichtung der sich bildenden Knochenmasse führen und einen festen Verbund zwischen Implantat und Knochen bewirken. Die Mobilisierung des Patienten ist zwingend erforderlich, da erst durch Bewegung die mechanischen Stimuli induziert werden, welche die Knochenumbauprozesse auslösen. Entscheidend für den Aufbau von Knochensubstanz sind Intensität, Anzahl und zeitlicher Verlauf dieser Stimuli.
Falsche Bewegungen können das Einwachsen des Implantats hingegen nachhaltig stören. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer aseptischen Lockerung der Prothese, die eine Hüftrevision erforderlich macht. Dabei kann die Lockerung der Prothese sowohl durch zu hohe Belastungen verursacht werden, die zu einer Abscherung der primär gebildeten Knochenverbindungen führen, als auch durch zu geringe Beanspruchungen bedingt sein, die eine Immobilisationsosteoporose zur Folge haben.

Reha ist entscheidend für den Erfolg des Hüftimplantats
Damit schafft die Implantation zwar die Grundlage für die Rekonvaleszenz des Patienten; entscheidend für den Erfolg des Hüftimplantats ist jedoch die Rehabilitation. Rehabilitative Maßnahmen fokussieren auf eine Kräftigung der Hüftmuskulatur, eine Verbesserung der Beweglichkeit und der Alltagsmotorik sowie die Stärkung des infolge der Immobilität geschwächten Herzkreislaufsystems.
Zu den gängigen Maßnahmen zählt das Fahrradergometer-Training, dessen biomechanische Auswirkungen auf die Implantat-Stabilität bislang jedoch weitgehend unbekannt sind. Welche Belastungen und Beanspruchungen infolge des Trainings auf den Knochen-Implantat-Verbund wirken, ist besonders in der frühen postoperativen Rehabilitation relevant, da zu diesem Zeitpunkt noch keine stabile knöcherne Verbindung vorliegt.
Besonders für Patienten, die eine Teilentlastung einhalten müssen, besteht die Gefahr, durch zu hohe Belastungen die Implantat-Stabilität nachhaltig zu stören. Andererseits bietet das Ergometer-Training im Gegensatz zu anderen Therapie-Methoden die Möglichkeit, Belastungen gezielt über die Trainingsintensität zu dosieren, um Teilbelastungsvorgaben einzuhalten. Voraussetzung hierfür ist ein Verständnis der biomechanischen Auswirkungen des Trainings auf die Implantat-Stabilität.

Digitale Verfahren simulieren die Implantat-Stabilität
Klinische Studien über das Langzeitverhalten von Hüft-TEPs sind zeitaufwendig, ethisch nicht immer vertretbar und zwangs­läufig mit Blick auf die Anzahl der untersuchbaren Faktoren limitiert. Knochenbeanspruchungen und Muskelkräfte lassen sich in vivo nicht oder nur bedingt bestimmen.
Mit Hilfe digitaler Verfahren kann die Implantat-Stabilität am Lehrstuhl für Produktentwicklung der Ruhr-Universität Bochum hingegen auch ohne direkte Messungen simuliert werden. Hierzu wird ein muskuloskelettales Menschmodell mit einem Modell eines Fahrradergometers in Interaktion gesetzt. Unter Vorgabe der durch die Kinematik des Ergometers definierten Bewegungen sowie der wirkenden äußeren Kräfte werden mit Hilfe des Menschmodells die relevanten Muskel- und Gelenkkräfte bestimmt. Die auf diese Weise ermittelten Lastfälle werden als Randbedingungen für Finite-Elemente-Simulationen (FE) des Femurs mit virtuell implantierter Prothese herangezogen. Durch den gekoppelten Einsatz der Simulationsverfahren wird es möglich, die Auswirkungen von Trainingsleistung, Körperhaltung und Kinematik des Trainingsgeräts auf die resultierende Hüftgelenkskraft im Detail zu analysieren.
Auf diese Weise können Parameterkonstellationen ermittelt werden, welche die mechanischen Spannungen und Relativbewegungen am Knochen-Implantat-Verbund innerhalb physiologischer Grenzen halten und die für das Einheilen optimalen Stimuli hervorrufen. Das Vorgehen zur simulationsgestützten Bewertung der Implantatstabilität ist in Abbildung 1 veranschaulicht.

Neuen Bewegungstrainer entwickelt
Die Erkenntnisse der Forschung wurden gemeinsam mit der Firma emotion fitness in einen neuen Bewegungstrainer überführt, der die mechanobiologischen Regeln der Implantateinheilung gezielt adressiert und die Anforderungen der frühen postoperativen Rehabilitation respektiert.
Von herkömmlichen Fahrradergometern unterscheidet sich das Trainingsgerät u.a. dahingehend, dass sich neben der Leistung auch das Kurbeldrehmoment am Trainingsgerät vorgeben lässt. Die Kontrolle über die Pedalkräfte wird mit Hilfe des motion balance system von emotion fitness erreicht, das einen differenzierten Vergleich des Krafteinsatzes zwischen linkem und rechtem Bein erlaubt. Vorhandene Dysbalancen, z.B. infolge einer ­vorausgegangenen Schonhaltung des Patienten, können erkannt und mit Unterstützung verschiedener Serious Gaming Anwendungen adäquat therapiert werden.
Dr. Marc Neumann & Maike Sauerhoff


Abbildung 1: Schematische Darstellung des Vorgehens zur simulationsgestützten Bewertung der Implantatstabilität


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