Ernährung & Gesundheit
28.11.2024
800 Jahre leben?
Wie KI unsere Gesundheit und Fitness revolutioniert
Haben Sie es gesehen? Dieses Wahlplakat, auf dem groß die Zahl 800 stand? Auch wenn die Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung noch in keinem Parlament oder Bundestag sitzt: ihr simples Programm ist ambitioniert. Es möchte mehr Forschungsgelder, um in den nächsten 20 Jahren Methoden zu entwickeln, die das Leben um mindestens 20 Jahre ausdehnen. Um dann in dieser Verlängerung den entscheidenden Durchbruch zu schaffen: Dass die Krankheit namens Tod besiegt wird. „Wo willst Du in 800 Jahren leben?“, lautet die provokante Frage.
Eines ist sicher: Die Durchbrüche in KI und Medizin lassen derartige Gedanken nicht mehr länger wie Science-Fiction klingen. Und dass sogar die Nobelpreise dieses Jahres sowohl in Chemie als auch in Physik an Pioniere der KI gingen, im Fall der Chemie im Bereich der Proteinforschung genaugenommen sogar an die KI selbst, zeigt Entwicklungen auf, die unser Denken in vielen Bereichen auf den Kopf stellen.
Rasante Fortschritte in Rejuvenation, Longevity und Biohacking liegen in greifbarer Nähe. Doch was verbirgt sich hinter diesen Begriffen? Und welche Chancen tun sich auf?
Forever young: der Traum von der ewigen Jugend
Seit Menschengedenken träumt die Menschheit von Unsterblichkeit und vom Jungbrunnen. Heute sind wir diesem Traum näher als je zuvor. Visionäre wie der deutsche Internet-Pionier Michael Greve, nun Gründer der Forever Healthy Foundation, investieren Millionen in die Forschung zur Lebensverlängerung. „Ob es gelingt, altersbedingte Krankheiten wie Krebs, Herzinfarkt und Demenz abzuschaffen, ist mittlerweile keine Frage des ‚Ob‘ mehr, sondern des ‚Wann‘“, sagt Greve optimistisch.
Mit seiner VC-Firma Kizoo Technology Ventures investiert er mittlerweile mehrere hundert Millionen Euro in Biotech-Startups, die sich lebensverlängernden Gesundheitslösungen verschrieben haben. Greve ist nicht allein. Weltweit setzen sich Forscher und Unternehmer dafür ein, das Altern zu verstehen und zu bekämpfen. Sie nutzen dabei modernste Technologien, allen voran die KI / AI (Artificial Intelligence).
„AI for Good“: Wenn Maschinen für das Gute arbeiten
Unter diesem Motto ist die KI-Forschung angetreten, gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern. Die gleichnamige Initiative der Vereinten Nationen in Genf hält dazu einen jährlichen Kongress mit den wichtigsten Vordenkern dieses Genres ab. Über 40 UNO-Organisationen arbeiten dezidiert mit KI.
Im Gesundheitswesen revolutioniert KI bereits Diagnostik, Therapie und Prävention. Doch dabei stellen sich auch ethische Fragen: Wie gehen wir mit sensiblen Gesundheitsdaten um? Wie gewährleisten wir Datenschutz und Datensicherheit? Janet Adams, die Co-Gründerin von Rejuve.ai und COO von SingularityNET, ist in Genf jedes Jahr mit dabei. Sie betont die Bedeutung von Ethik in der KI-Forschung: „Wir müssen sicherstellen, dass KI zum Wohle aller eingesetzt wird und nicht nur einigen wenigen zugutekommt.“
Rejuve.ai ist eine Open-Source-Entwicklung, um auf freiwilliger Basis Gesundheitsdaten zu analysieren und personalisierte Empfehlungen zur Lebensverlängerung zu bekommen. Wegen der verwendeten Blockchain-Technologie behalten die Nutzer selbst die Kontrolle über ihre Daten und können entscheiden, welche Informationen sie teilen möchten.
Predictive Analytics für den menschlichen Körper
In der Industrie ist vorhersagende Analytik aus großen Datenmengen längst etabliert. So erkennen Maschinen, die mit KI geboostert sind, frühzeitig mögliche Probleme, lange bevor der Mensch diese entdeckt. Das gleiche Prinzip lässt sich nun auch auf den menschlichen Körper übertragen. Wearables wie Fitness-Tracker, Smartwatches oder Apps, die Blutanalysen am Smartphone erlauben, sammeln heute kontinuierlich Daten über unsere Gesundheit.
Das Münchner Unternehmen EGYM etwa nutzt diese Daten, um personalisierte Trainingspläne zu erstellen. Mit ihrer KI-Software EGYM Genius analysieren sie Milliarden von Trainingsdaten, um jedem Nutzer ein maßgeschneidertes Fitnessprogramm zu bieten. „Unsere Mission ist es, die Schnitt - stelle zwischen Fitness und Gesundheit zu revolutionieren“, sagt Philipp Roesch-Schlanderer, CEO von EGYM, das mittlerweile zum Unicorn wurde, also eine Milliarden-Euro-Bewertung vorweisen kann. Was beweist: Dieser Markt ist riesig und wächst weltweit.
KI erstellt Trainingspläne
Früher galt es, für einen individuellen Trainingsplan einen Personal Trainer zu engagieren. Heute erstellt eine KI in Sekunden ein Konzept, das genau auf die Bedürfnisse und Ziele des Nutzers abgestimmt ist. Unternehmen wie Technogym setzen ebenfalls auf KI, um das Training zu optimieren. Mit ihrer MywellnessPlattform und dem KI-basierten Technogym Coach erhalten Nutzer personalisierte Empfehlungen, die sich an ihrem sogenannten Wellness Age orientieren – einem Index, der ihren aktuellen Gesundheitszustand widerspiegelt.
Durch die Analyse großer Daten - mengen kann KI Krankheiten frühzeitig erkennen. Etwa Tumorzellen in einem Frühstadium, das Mediziner mit freiem Auge auf Röntgenbildern noch nicht wahrnehmen können.
Siemens Healthineers leistet hier Pionierarbeit. Das rettet Leben. Ganz konkret. Jeden Tag. Aber auch Start-ups wie Scaneca, das sich auf die Analyse von Körper - werten und die Erkennung von Haltungsproblemen spezialisiert hat, starten hier durch. Parameter wie Gewicht, Körperfettanteil, BMI und Viszeralfett werden präzise erfasst. So können Trainer und Therapeuten noch spezifischer arbeiten als bisher.
In der Rehabilitation kommen mitt - lerweile immer häufiger Roboter zum Einsatz, die von KI gesteuert werden. Das Unternehmen Awakening Health Lab hat „Grace“ entwickelt, einen humanoiden Roboter, der Patienten nicht nur physisch, sondern auch emotional zur Seite steht. Grace kann vital wichtige Daten über wachen, Gespräche führen und sogar Emotionen erkennen. „Unsere Vision ist es, die Pflege mit KI zu revolutionieren“, sagt Janet Adams, die auch hier federführend ist.
Biohacking: Selbstoptimierung auf höchstem Niveau
Während Forscher und Unternehmen an groß angelegten Lösungen arbeiten, die enorme Profite erhoffen lassen, gibt es auch Einzelpersonen, die das Thema Selbstoptimierung voran - treiben. Bekannt geworden – aber auch umstritten – ist etwa Bryan Johnson, ein amerikanischer Unternehmer, der Millionen in seinen eigenen Körper investiert. Als professioneller BioHacker und Selbstoptimierer.
Mit einem Team von Ärzten und Wissenschaftlern verfolgt er ein striktes Anti-Aging-Programm, das ihm helfen soll, seinen biologischen Alterungsprozess umzukehren. Sein radikales Motto: „Don't die.“ Ähnlich ambitioniert ist in Deutschland der Coach Peter Brockhaus, einst Gründer der Windsurfing-Marken F2 und Mistral. Mit seinem Claim „Don't die dumb“ ist er realistischer als Johnson und hat sich vor allem dem Ziel verschrieben, gesund zu altern und nicht nur einen fitten Körper, sondern vor allem einen fitten Geist zu entwickeln. Denn aus eigener Erfahrung weiß der Senior, dass die richtige Balance von korrekter Ernährung, Schlaf, Bewegung, Denken und einem gesunden Miteinander das Lebenselixir schlechthin sind.
So organisiert er mit ärztlicher Unterstützung z.B. Seminare am Chiemsee, in denen er zeigt, wie man mithilfe von KI und modernster Technologie sein biologisches Alter messbar reduzieren kann. Er selbst hat es vorgemacht. „Es geht darum, informiert zu sein und Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen“, betont Brockhaus.
Bei all den Fortschritten stellt sich die Frage nach der ethischen Dimension. Ist es wirklich erstrebenswert, ein gesundes menschliches Leben unbegrenzt zu verlängern? Welche Auswirkungen hätte das auf Gesellschaft, Umwelt und Ressourcen? Und wer hat Zugang zu diesen Technologien? Die zitierte Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung fordert klar: Es ist sicherzustellen, dass diese Entwicklungen nicht zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft führen. Und dass die erzielten Fortschritte allen Menschen zugutekommen.
Ein Blick in die Zukunft
Die Vorstellung, 800 Jahre zu leben, mag heute noch utopisch erscheinen. Doch die Fortschritte in KI und Biotechnologie werden unser Verständnis von Alter und Gesundheit grundlegend verändern. Michael Greve fasst es treffend zusammen: „Wir stehen am Beginn eines neuen Zeitalters. Es ist unsere Chance, das Altern neu zu definieren.“ Warum nicht 50 Jahre lang als Arzt arbeiten, um dann 50 Jahre Gärtner zu sein, fragt er.
Es geht hier nicht nur um Wissenschaft, sondern um die gesamte Gesellschaft mit ihren Vorstellungen von Arbeit, Freizeit, Gesundheit, Persönlichkeitsentfaltung und individuellen Lebensentwürfen. ‚9 to 5- Arbeit‘ muss nicht der Weisheit letzter Schluss sein, wenn uns Maschinen zusätzlich zur Körperarbeit auch routinemäßige Denkarbeit abnehmen. So gesehen kann KI Lebensqualität, Kreativität und Freiheit auf ein neues Level anheben.
Die Verschmelzung von KI, Biotechnologie, richtigem Training und persönlicher Initiative wird definitiv der Schlüssel zu einem längeren, gesünderen Leben sein. Doch es geht nicht nur darum, möglichst viele Jahre anzuhäufen. Es ist an der Zeit, Verantwortung für das eigene Wohlbefinden zu übernehmen, informiert zu bleiben und die Chancen zu nutzen, die sich heute bieten. Auf viele gute, gesunde Jahre!
Christoph Santner
Bild: ©shutterstock.com_76512382
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